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Mitbestimmung

Stena Lines: „Corona ist nur der Deckmantel…“  
 

Im Dunstschleier der Pandemie wird sich die schwedische Reederei Stena Lines von 126 ihrer Beschäftigten trennen. Der Arbeitgeber kappt unbeirrt zum 30. Juni alle Taue. Begründung: Einnahmeausfälle. Betriebsräte und EVG ringen seit Wochen um die bestmöglichen, sozialverträglichen Lösungen.   

„111 Jahre lang fuhren Fähren zwischen Rügen Schweden. Jetzt kann das Ende dem Arbeitgeber nicht schnell genug kommen“, sagt Peter Leukroth, Betriebsratsvorsitzender der Stena Line, Rostock. Der 30.6. stehe leider fest, deswegen dränge die Zeit. „Es geht gerade um das doppelseitige Freiwilligenprogramm und die Annahme der Transfergesellschaft“, sagt der Seemann mit 37 Jahren Berufserfahrung. Es sei wie auf dem Schiff. „Geht das Boot unter; lassen wir uns aber gegenseitig nicht ertrinken“. „Seemannsehre“ schiebt der gelernte Rudergänger nach. 

Die am Tag darauf stattfindenden Betriebsversammlungen spiegeln die Gefühlslage der Anwesenden wider; einen Mix aus Betroffenheit, Wut, Unverständnis und Ratlosigkeit. Wegen der corona­bedingten Abstandsregelungen sind es gleich vier Veranstaltungen hintereinander. Viele der Betroffenen hatten gefühlt auf der „Sassnitz“ ihr zweites Zuhause. Immer wieder herrscht die gleiche, bedrückende Stimmung, wenn die Betroffenen über Details informiert werden. Vieles ist ihnen fremd, wie beispielsweise die Einrichtung einer Transfergesellschaft.    

Transfergesellschaften kommen bei Entlassungswellen wie der bei Stena Lines zum Tragen. Sie sind eine geförderte, freiwillige und befristete Maßnahme für Arbeitnehmer*innen, sich weiterzubilden, um im Anschluss neu durchstarten zu können. Der letzte Arbeitgeber finanziert die Weiterbildungen sowie einen Teil des Entgelts. Die Agentur für Arbeit den anderen Teil. Die Mitarbeiter*innen sind dann mit allen Rechten und Pflichten Arbeitnehmer*innen der Transfergesellschaft.   

Bei ihren Bemühungen, die Arbeitsplätze zu erhalten, haben EVG und Betriebsräte auf mehr Unterstützung durch das Land Mecklenburg-Vorpommern gehofft. Wirtschaftsminister Harry Glawe versprühte kurzfristig Hoffnung. Nach seiner Ansicht wäre das AUS für die sogenannte Königs­linie noch nicht endgültig. Zu Redaktions­schluss dieser imtakt gab es allerdings keine neuen Impulse aus dem Ministerium in Schwerin. „Die Hoffnung ist bei vielen endgültig verflogen“, sagt Anke Brauer, EVG-Gewerkschaftssekretärin in Rostock.


„Ich war 17 Jahre mit der „Sassnitz“ verheiratet. Nun ist von heute auf morgen alles vorbei. Als die schlechte Nachricht kam, habe ich Rotz und Wasser geheult.“ 

Frank Mitbrod, Teamleiter Reinigung

Das Personal ist laut ihrer Noch-Arbeitsverträge auf beiden Fährschiffen nach Trelleborg einsetzbar; der „Sassnitz“ und der „Mecklenburg-Vorpommern“. Die bereits stillgelegte Verbindung ab Mukran/Sassnitz auf Rügen betrifft auch die andere Stena-Fährverbindung ab Rostock. Wie genau, wird nicht vom Arbeitgeber kommuniziert.  

Als beschämend empfinden die 126 Frauen und Männer; Reiniger*innen, Köch*innen, aus der Bordgastronomie oder Rezeption, Maschinisten und vom seemännischen Personal den Umgang mit ihnen. Gerade, weil Peter Leukroth sie alle persönlich kennt, trifft es sein raues Seemannsherz umso schmerzhafter im weichen Kern. „Wir leben Gemeinschaft prägt dich auf See mehr als anderswo“, sagt Leukroth. An Bord herrschen andere Dienstzeiten als an Land. Es gibt zwei Wechselschichten täglich, von jeweils 19 Crewmitgliedern bewältigt; sieben Tage am Stück. Danach geht es dann eine Woche nach Hause.  


„Nach vier Jahren als Saisonkraft habe ich endlich am 1. Februar meinen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten. Ich bin so unendlich enttäuscht und weiß gerade nicht, wie es für mich weitergeht“. 

Greta Michalak, Cateringmitarbeiterin

Als die „Sassnitz“ das letzte Mal vom Hafen Mukran auslief, ertönten sämtliche Feuerwehrsirenen in der gleichnamigen Hafenstadt. Als es zur Begegnung auf der Ostsee kam, dröhnten die Schiffshörner einen letzten Gruß über das Meer. „Es flossen viele Tränen“, erzählt Anke Brauer. Aus ihrer Sicht hat Stena Line die Potenzia­le der Route verkümmern lassen. „Dabei sind Lage und Zufahrten des Hafens von Mukran so einmalig, ergänzt Peter Leukroth. „Für Schiffe und Straßenverkehr“. 


Peter Leukroth, Betriebsratsvorsitzender der Stena Lines

1909 noch vom schwedischen König Gustav V. und dem deutschen Kaiser Wilhelm II. mit majestätischem Pomp eingeweiht, ist die „Königslinie“ jetzt wie ihre Namensgeber tot. Seit 2014 lebte die Route Sassnitz-Trelleborg vor allem vom Tourismus. Tendenz sinkend. Zuletzt gab es Überfahrten nur noch zwei Mal täglich, ab September 2018 in immer größeren Abständen. „Der Arbeitgeber schiebt Corona vor, um die Route endlich trocken zu legen“, vermutet Leukroth. 

Allerdings wird sich in einem Punkt nichts ändern: Neben der Schiene ist auch die Schifffahrt Teil der kritischen Infrastruktur. Jedes Jahr kommen über deutsche Häfen 300 Millionen Tonnen Güter per Schiff, insbesondere Lebensmittel und andere Dinge des täglichen Bedarfs an. Insofern ist die Seeschifffahrt für die Aufrechterhaltung der Versorgung der Bevölkerung und auch für die Versorgung der Wirtschaft unabdingbar. Wir als EVG sagen: Das gilt auch für Stena Lines und noch mehr für die Beschäftigten. Jede Kollegin und jeder Kollege, die jetzt um ihre Zukunft bangen müssen, haben jahrelang alles gegeben. Dieses unwürdige Ende ihrer Schifffahrtslaufbahnen haben sie nicht verdient.

Die „Sassnitz“ liegt jetzt im schwedischen Hafen Uddevalla. Ob, wie und wo es künftig für sie weitergeht, ist noch unklar.