Ausschreibungswettbewerb: Eine Klage mit Strahlkraft
Erstmals klagen Beschäftigte von Verkehrsunternehmen gegen zwei Aufgabenträger. Sie wollen, dass die verbindliche Vorgabe zu einem Personalübergang bei Betreiberwechsel in eine laufende Ausschreibung aufgenommen wird. Die Klage wird weit über Nordrhein-Westfalen hinaus ausstrahlen.
Darum geht es: Die EVG, mobifair und fünf Beschäftigte von DB Regio Westfalen und der NordwestBahn haben die Klage beim Verwaltungsgericht Gelsenkirchen eingereicht. Die beiden Unternehmen betreiben einige SPNV-Linien, die derzeit ausgeschrieben sind: das sog. Niederrhein-Münsterland-Netz. Die Klage richtet sich dagegen, dass der federführende Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) und der Zweckverband Nahverkehr Westfalen-Lippe (NWL) erneut keine Vorgabe zum Personalübergang bei einem möglichen Betreiberwechsel in die Ausschreibung aufgenommen haben. Kommt ein neuer Betreiber zum Zug, stehen die Beschäftigten im Regen. Mit diesem Wettbewerb auf dem Rücken der Beschäftigten muss Schluss sein. „Die Idee hinter der Klage ist, dass die Bestandsmitarbeiter, die derzeit auf den betroffenen Strecken arbeiten, ihren Arbeitsplatz verlieren könnten, wenn wir die Ausschreibung verlieren“, sagt Marion Rduch. Die Triebfahrzeugführerin der NordwestBahn ist eine der fünf Kolleg*innen, die die Klage führen. „Dabei geht es nicht nur um die Triebfahrzeugführer*innen, sondern auch Kundenbetreuer*innen, die Werkstattmitarbeiter, die Kolleginnen und Kollegen in der Betriebszentrale.“
So ist die Rechtslage: Lange Zeit war die Verkehrsverordnung der EU 1370/2007 die einzige Rechtsgrundlage für unsere Forderung nach einem fairen und sozial ausgestalteten Wettbewerb im SPNV. Sie besagt, dass Aufgabenträger bei Ausschreibungen den Personalübergang vorschreiben können. Auf den jahrelangen intensiven Einsatz von EVG und mobifair ist es zurückzuführen, dass der deutsche Gesetzgeber hier einen Schritt weitergegangen ist – wenn auch nicht so weit, wie wir es gerne hätten. Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) hat die Bundesregierung 2016 vorgegeben, dass die Aufgabenträger „in der Regel“ den Personalübergang vorschreiben sollen. Sie müssen begründen, wenn sie es nicht tun. Die Vergabe- oder Tariftreuegesetze der Länder bewegen sich in diesem Rahmen. Mit einer Ausnahme: Rheinland-Pfalz. Hier ist vorgeschrieben, dass die Aufgabenträger den Personalübergang vorschreiben müssen - aus unserer Sicht die Ideallösung.
„Die Menschen, die dahinterstehen, interessieren offenbar nicht.“
Das sagt der VRR dazu: Der VRR hat die Regelung des GWB bisher nicht angewendet. Mit teilweise seltsamen Argumenten. Bei der Ausschreibung des Emscher-Münsterland-Netzes 2016 hieß es zum Beispiel, dass in diesem Netz der Wechsel zu einer neuen, CO2-freien Antriebstechnologie vollzogen werden soll; dafür müsse neues Personal gesucht werden. Für Lokführer*innen dürfte das aber leicht zu bewältigen sein. Und, bitte schön: Was ändert sich für die Arbeit von Zugbegleiter*innen, wenn die Lok mit Strom statt mit Diesel fährt? Schweres Geschütz fuhr der VRR in einem Brief an mobifair zur laufenden Ausschreibung des Niederrhein-Münsterland-Netzes auf. Nach seiner Auffassung bestünden „erhebliche (verfassungs-) rechtliche Bedenken gegen eine Anordnung der Personalübernahme durch den SPNV-Aufgabenträger.“ Beeinträchtigt seien die Berufsausübungsfreiheit, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Arbeitnehmer*innen, der Gleichheitsgrundsatz – und sogar das Rechtsstaatsprinzip werde ausgehebelt. Außerdem seien Beschäftigte des Altbetreibers aus Sicht des VRR „nicht der Gefahr ausgesetzt, zu erheblich schlechteren Bedingungen als bisher bei dem neuen EVU eine Anstellung zu finden.“ Lokführer, heißt es in dem Brief weiter, würden sowieso immer was finden. „Das ärgert mich maßlos“, sagt Lokführerin Marion Rduch. „Es geht uns darum, dass die Kolleginnen und Kollegen, die zum Teil seit vielen Jahren auf einer Strecke unterwegs sind, auch bei einem Betreiberwechsel ihren Arbeitsplatz behalten. Es geht einfach zu viel über die Lohnkosten. Die Menschen, die dahinterstehen, interessieren offenbar nicht.“
So sehen EVG und mobifair das Thema: Die lässige Auffassung des VRR über den Wettbewerb im SPNV teilen wir nicht. „In Nordrhein-Westfalen fallen täglich Züge aus oder kommen zu spät, weil es an Personal fehlt“, sagt mobifair-Vorstand Dirk Schlömer. „Und die Aufgabenträger lernen nichts daraus, denn sie weigern sich schlichtweg, einen geregelten Personalübergang sicherzustellen.“ EVU sind nach fehlgeschlagenen Betriebsaufnahmen bereits abgemahnt worden oder haben Verträge sogar zurückgegeben. Für den stellvertretenden EVG-Vorsitzenden Martin Burkert ist die bisherige Weigerung des VRR, „die Beschäftigten im Ausschreibungswettbewerb abzusichern, unsozial und absolut nicht nachvollziehbar.“
Als Prozessbevollmächtigten haben wir den Frankfurter Vergaberechts-Experten Prof. Wolfgang Trautner beauftragt. Auch er hat kein Verständnis für die Position des VRR: Es könne nicht sein, dass ein regionaler Verkehrsverbund wegen vermeintlicher verfassungsrechtlicher Bedenken sich die Kompetenz anmaße, ein Bundesgesetz nicht anzuwenden.
„Das Gericht hat die Notbremse gezogen.“
Das ist der Stand der Dinge: Die Rückschrift aus Gelsenkirchen kam postwendend – und brachte einen ersten Teilerfolg. Die Verwaltungsrichter stoppten die Ausschreibung umgehend. Es dürfe kein Zuschlag für einen Bewerber erteilt werden, bevor nicht in der Hauptsache entschieden ist. „Das Gericht hat die Notbremse gezogen“, kommentiert mobifair-Vorstand Dirk Schlömer. Zugleich hat das Verwaltungsgericht die Klage an die Landgerichte Essen und Dortmund weitergeleitet. Eine erste Verhandlung wird voraussichtlich am 11. März stattfinden.
Das wollen wir erreichen: Ein Urteil in dieser Sache betrifft zunächst mal „nur“ die laufende und künftige Ausschreibungen in NRW. Es hätte aber „auch eine große Ausstrahlung weit über NRW hinaus“, sagt EVG-Vize Martin Burkert. Unser Ziel ist, die Beschäftigten im Wettbewerb zu schützen. Dafür wäre es am besten, der Gesetzgeber in Bund und Ländern würde den Personalübergang als ein „Muss“ für SPNV und ÖPNV (also für die Busse) vorschreiben. Dass das möglich ist, zeigt Rheinland-Pfalz. EVG-Vize Martin Burkert führt weiterhin Gespräche mit allen Länderverkehrsminister*innen und wirbt dabei unter anderem für dieses Modell. „Was Rheinland-Pfalz geregelt hat, sollte in allen Bundesländern Standard werden. Wir werden nicht locker lassen, bis wir bundesweit und flächendeckend die Beschäftigten im SPNV und ÖPNV abgesichert haben.“