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Arbeit & Gesundheit

Personalmangel: „Es ist grauenhaft“

Vom akuten Personalmangel sind inzwischen fast alle Wirtschaftsbranchen in Deutschland betroffen - gerade auch der Verkehrssektor. Geschlossene Bordbistros im Fernverkehr, verspätete Züge wegen fehlender Lokführer:innen, Waggons können nicht entladen werden. Auch Reparaturen, Neubauten oder Wartungen sind nur noch mit massiver persönlicher Einsatzbereitschaft der Beschäftigten zu wuppen. 

In der Menge kaum noch zählbare Überstunden sammeln sich bei den Kolleginnen und Kollegen an. Einer von denjenigen ist Daniel Neuß. Der Zugchef aus Nürnberg bei DB Fernverkehr hat „die Nase voll“ von den diversen Unwägbarkeiten, die ihn jeden Tag im Dienst erwarten. Im August hat er sich persönlich in einem Brief an den Konzernchef der DB AG, Richard Lutz gewandt. Darin schreibt er u.a.: 

„Ich habe den Eindruck, dass sowohl der Vorstand als auch einige Führungskräfte zwar wissen, mit welchen Herausforderungen und Problemen wir Mitarbeiter:innen im täglichen Betrieb zu kämpfen haben, aber trotzdem zu wenig bzw. gar nichts unternommen wird, um die Situation zu entschärfen.“

Wochen später meldete sich der Vorstand Personenverkehr DB AG Michael Petersen im Auftrag des Konzernchefs. Petersen begründete fehlende/schleppende Verbesserungen mit zu hohen politischen Hürden. „Allerdings sind die heutigen Probleme und Sorgen der Beschäftigten die gleichen, wie sie es bereits vor Jahren waren“, zeigt sich Daniel Neuß enttäuscht. Ähnlich hatte er es bereits in seinem Brief formuliert:

„Sie sprechen in der Presse von Verspätungen, die den Unternehmen Sorge machen, weil so viel gebaut und instandgesetzt werden muss. Viele Verspätungen entstehen leider nicht, wie oftmals propagiert nur von den Baustellen, sondern vom Fuhrpark und vom technischen Zustand der Fahrzeuge selbst! Als Mitarbeiter empfinde ich solche Halbwahrheiten wie ein Schlag ins Gesicht!“ 

Das Angebot von Herrn Petersen, sich jederzeit bei ihm melden zu können, will Daniel auslassen. „Da läuft doch etwas falsch im Unternehmen, wenn ich den Vorstand bei weiteren Problemen informieren soll. Das müsste doch von den betreffenden Führungskräften kommen“, so der 39jährige. Einige seiner Beispiele aus dem Anschreiben klingen unwirklich und sorgen für Kopfschütteln.

„So wurde am 24.07.2022 ein ICE auf Grund nicht funktionstüchtiger WC-Anlagen zum Absaugen der vollen Fäkalienbehälter mit samt Fahrgästen in den Betriebsbahnhof gefahren, damit wieder alle Toiletten zur Verfügung stehen konnten. #Tag der offenen Tür im Betriebsbahnhof.“ 

Daniel beschreibt, dass oftmals Gäste (sehr) ungehalten reagieren. Vor allem dann, wenn er und seine Kolleg:innen bestimmten Umständen ebenfalls rat- und machtlos gegenüberstehen. 

„…der Fahrplan ist mit den zur Verfügung stehenden Fahrzeugen und Personal nicht realisierbar! Die Infrastruktur ist begrenzt und dementsprechend sollte auch der Fahrplan ausgelegt sein. Diesen Zustand gibt es seit Jahrzehnten und es wird nichts geändert.“
Zugbegleiter Daniel Neuß spricht aus, was viele Beschäftigte der Eisenbahner:innenfamilie bewegt: „Es muss gehandelt und nicht diskutiert werden.“ Noch ist er weit davon entfernt, rückblickend seinem Vater recht zu geben. Er hatte ihn mit den Worten „Mach nicht den Fehler und gehe zur Bahn“ von einem Beruf als Eisenbahner abgeraten. Sein Herz schlage für die Bahn und er gibt jeden Tag sein Bestes. Stolz sagt er, „die Arbeit erfüllt mich“. – „Noch“, schiebt er nach. 

In der Oktober-imtakt haben wir euch dazu aufgerufen, uns zu schildern, wie sich der Personalmangel in euren Bereichen auswirkt. Hier kommen einige der eindrücklichsten Zuschriften in Auszügen:

„Die Lage ist verheerend. Gerade ausgelernte Azubis verlassen unseren Betrieb in Scharen, weil sie entweder nicht bestehen (haben aber oft über 90 %, wenn nicht annähernd 100) oder weil sie nicht gefördert werden. Es fehlt oftmals der Anreiz, damit sie bleiben. Und das ist, soweit ich weiß, oft nicht das Geld. Da sehr viele Mitarbeiter sehr oft krank sind, ohne dass es jemanden interessiert, werden die restlichen Mitarbeiter ausgenutzt, bis niemand mehr motiviert ist. In meinem letzten Urlaub musste ich zweimal (!) einspringen. Wenn das so weitergeht, haben wir immer weniger Kunden und noch weniger Mitarbeiter... ein Teufelskreis, der nur von der Ignoranz der Planung übertroffen wird.“

„Auch die Buchhaltung im Konzern bekommt den Fachkräftemangel zu spüren. Ich bin wütend, enttäuscht und entsetzt. Nicht nur, dass sich keine Fachkräfte bewerben, wir schicken die vorhandenen auch noch in die Wüste… Ganz zu schweigen von der Fluktuation, die eh schon herrscht u.a. wegen des schlechten Betriebsklimas. Freiwerdende Stellen werden nicht mehr besetzt, das zerrt an unser aller Nerven.“

„Ich bin Mitarbeiterin bei DB Vertrieb und fühle mich wie eine Maschine, die ihre Arbeit erfüllen muss. Man versucht so schnell wie möglich die Kunden der Reihe nach abzuarbeiten. Ich gehe sogar auf Arbeit, wenn ich krank bin aus Kollegialität, mache oft keine Pause, um zu helfen, dass die Schlange vor dem Schalter nicht noch länger wird.“ 

„Die Kunden sind genervt und wir mittlerweile auch. Das hat nichts mehr mit Service zu tun, es ist einfach nur grausam. Lange werden meine Kollegen und auch ich diesen Zustand nicht mehr aushalten. Ich überlege ernsthaft, mir einen anderen Job zu suchen, obwohl mir die Arbeit sehr gefällt, aber so schlimm wie jetzt war es noch nie.“

„Ich arbeite in einer Abteilung, die sicherheitsrelevant ist. Unter dem hohen Druck, den strengen Zeitvorgaben, der schlechten Bezahlung (509), dem Personalmangel arbeiten wir teilweise 6 Tage die Woche. Ich hatte in meinem Dienstplan auch bereits 9 Tage am Stück, ohne einen freien Tag dazwischen drin. "Doppelruhen werden überbewertet", also zwei Tage frei am Stück, ist unser Leitspruch, den wir uns regelmäßig anhören dürfen, wenn wir gerne mal den Sonntag und Montag frei haben wollen! Die Aufsichten bei uns machen zwei bis drei Bahnsteige, obwohl nur einer pro Aufsicht vorgesehen ist. Einige Kollegen haben sich weg beworben, sogar das Unternehmen ganz verlassen. Es ist grauenhaft. Ich überlege, mit den Stunden runter zu gehen, aber wer garantiert mir dann, dass ich nicht trotzdem Vollzeit komme, aber nur Teilzeit bezahlt werde? Und eigentlich will ich nur mit den Stunden runter gehen, um mich selbst zu schützen.“

„Drei von fünf Disponenten befinden sich mit Burnout in Kur. Das spricht für sich. … Neue PEDs werden nur sporadisch eingewiesen, ins kalte Wasser geworfen und Eis hinterher gekippt. Mit Quereinsteiger:innen wir versucht die Lücke zu füllen, Durchfallquote > 40%“