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100 Jahre Leistung: S-Bahn Berlin

Seit 1924 fährt die Berliner S-Bahn die Menschen von A nach B und C sowie auch wieder zurück - und sogar im Kreis. Jeder Tag ist für sie eine neue Herausforderung: Menschen, Technik, Wetterlagen oder gar ein geteiltes System in Ost und West. Zwei, die die geteilte Berliner S-Bahn auf der jeweils anderen Seite miterlebt haben, sind Birgit Reichert und Stephan Ziegler.

Birgit, 1978 hatte sie in Westberlin Facharbeiterin für Transporttechnik gelernt. Gleich mit Ausbildungsende 1980 erlebte sie ihren ersten Streik. Aufgrund des Vier-Mächte-Status wurde die S-Bahn in Westberlin von der Reichsbahn betrieben. Damals streikten die Reichsbahner:innen im Westen für die Angleichung ihrer Löhne. Gleichzeitig rief der Senat, unter dem Motto „kein Geld für Ulbrichts Stacheldraht“ zum S-Bahnboykott auf. Die S-Bahn in Westberlin wurde deshalb wenig genutzt, generierte kaum Einnahmen und wurde in der Konsequenz bis auf ein, zwei Stummelstücke stillgelegt: so fuhren nur noch Züge von Charlottenburg nach Friedrichstraße und von Schönholz nach Lichtenrade. Mehr konnte das Politbüro in Ostberlin nicht finanzieren. 

Vor der Wende erlebte Birgit, wie im Januar 1984 die Betriebsrechte der Westberliner S-Bahn an die Berliner Verkehrsgesellschaft (BVG) und erst wieder 1997 zurückgingen. „Zeitgleich kam damals der Schmähbegriff der „Blech-Bahner“ auf, der sich teils noch heute hält. Die Abgrenzung richtet sich dabei gegen alle Kolleg:innen, die „nur“ S-Bahn fuhren, im Vergleich zur „richtigen“ (schweren) Eisenbahn.

Als BR-Vorsitzende bei der S-Bahn engagierte sich die Fahrdienstleiterin später dafür, dass die damalige GdED, die bereits die West-Kolleg:innen vertreten hatte, die Gewerkschaft aller S-Bahner:innen in der Hauptstadt wurde. Ursprünglich war damals die ÖTV, die Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr als zuständige Gewerkschaft im Gespräch. Die Wahl fiel aber letztlich auf die Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands. 

Die Wende – politisch und technisch

Der Mauerfall versetzte 1989 ganz Deutschland in Euphorie, vor allem in Berlin strömten die Menschen zu den Übergangsstellen. Dabei wurde das Nahverkehrssystem regelrecht „überrannt“. Viele S-Bahner:innen meldeten sich freiwillig zu Zusatzdiensten und legten zahllose Überstunden ein, um die Züge für die freudetaumelnden Menschen durch diese wilden Stunden fahren zu lassen. „Nicht selten haben wir in dieser Zeit Kolleg:innen wiedergesehen, die zu Grenzzeiten geflüchtet waren und in Westberlin weiter bei der S-Bahn arbeiteten“, erzählt Stephan Ziegler. Mit der abziehenden Wende-Euphorie verwischten zunehmend die Ost-/West-Arbeitsbereiche. So meldeten sich beispielsweise Ost-Kolleg:innen vermehrt für Arbeitsplätze im Westen. Warum? „Die Entgelte wurden zu der Zeit abhängig von der Einsatzstelle bezahlt“.  

Als Mitglied im Betriebsrat macht sich Stephan für die Belange der Belegschaft stark. Parallel ist er Schichtleiter der Leitstelle. Zur Wendezeit war er in Ostberlin Triebfahrzeugführer. Er hatte u.a. das Wendegeschehen, wie die Montagsdemonstrationen und den Mauerfall auf der Ostberliner Seite miterlebt. Sein prägendstes Erlebnis im Zuge der Umstrukturierungen hatte er im Jahr 2006. Er fuhr damals die letzte Schicht im S-Bahn Betriebswerk (BW) Friedrichsfelde. „Ich war damals Disponent und hatte quasi das BW als Letzter abgeschlossen“. 

Ab dann habe es nur noch die zustandsbezogene Instandhaltung gegeben, erzählt er. Was ursprünglich als „Optimierung S-Bahn“ ausgerufen wurde, resultierte zwei Jahre später zur ausgewachsenen S-Bahnkrise. „Es kam soweit, dass nur noch Halbzüge fuhren, damit wenigstens etwas fuhr“, erzählt Stephan. Zwei Drittel aller vorhandenen Züge waren am 1. Mai 2008 nicht fahrbereit, da gravierende Mängel z.B. an Achsen auftraten. „Makaber: Wenn ein Zug in einen Bahnhof einfuhr, klatschten uns die Wartenden Beifall“. 

Dass sich solche katastrophalen Zustände nicht wiederholen, dafür macht sich u.a. Robert Seifert stark. Er hat den nötigen Sach- und Fachverstand. Der 35-jährige wird seit Langem als rühriger Betriebs- & Aufsichtsrat (der Arbeitnehmerseite) von den Beschäftigten sehr geschätzt. In den Krisenjahren fiel auch er unter die große Sozialauswahl, die vom Spardiktat des Konzerns vorgegeben wurde. „Damals wurden hunderte Kolleg:innen unserer S-Bahn-Familie für die Gewinnoptimierung entlassen oder versetzt. Das war keine schöne Zeit“.

Bis heute hat die Berliner S-Bahn alle beschriebenen Krisen überstanden. Es gab, nicht zuletzt dank des Einsatzes vieler Kolleginnen und Kollegen, immer eine Lösung – auch, wenn sie schwer erkämpft war. „Mit den gemeinsam überwundenen Krisen wuchs die S-Bahner-Familie kollegial eng zusammen“, erzählt Birgit. Zudem gab es immer einen starken Betriebsrat bei der S-Bahn, der sich auch politisch engagierte. Im geteilten Berlin sei jede Sitzung des Verkehrsausschusses im Abgeordnetenhaus von uns begleitet worden, erinnert sie sich. „Wir wollten wissen, was diskutiert und beschlossen wird. Wir wollten nicht nur mitreden – wir haben mitgeredet“!

Mitreden wollen die aktiven Beschäftigten der S-Bahn am liebsten auch heute, wenn es um das Thema Ausschreibung „Berliner S-Bahn-Netz“ geht. Seit Jahren zieht sich das Verfahren, wird nachgebessert oder neu angesetzt. Der Berliner Senat plant eine Dreiteilung des Netzes. Sie solle mehr Zuverlässigkeit ins System bringen. Aktuell fahren 642 Fahrzeuge am Tag über das Netz. „Es funktioniert. Wir haben das im Griff“, sagt Stephan. „Berlin braucht keine Ausschreibung von drei Teilnetzen, die unter Umständen technisch nicht zusammengehen. Wir brauchen ein einheitliches System“, schiebt Birgit nach. 

Heute einer der größten Arbeitgeber der Stadt   

„Etwas mehr als 3.000 Mitarbeiter:innen sind jeden Tag in den verschiedensten Bereichen engagiert“, erzählt Seifert. „Sie halten das Berliner S-Bahn-Netz mit seinen 168 Bahnhöfen, verteilt über 16 Linien auf 340 Kilometern am Laufen. „Wir haben das Zeug dazu, auch in den kommenden 100 Jahren das Rückgrat des Verkehrs der Hauptstadtregion zu bleiben“, bekräftigt Robert. 
Für ihn ist das Wesen der S-Bahn Berlin eng mit der Stadt, ihren Menschen und ihrer Geschichte verknüpft: mal geliebt, mal verhasst, mal maulig oder stotternd. „Dennoch ist der 100. Geburtstag unserer S-Bahn ein Grund zum Feiern“, resümiert Seifert. „Verdient wäre es“! Es sei ein Jubiläum, welches hart erkämpft wurde. Es sei allen Beschäftigten gegenüber eine Schande, dass die Geschäftsführung das Jubiläum völlig übergeht.

Für Birgit steht fest: „S-Bahner sein ist kein Job, sondern eine Berufung“. S-Bahner wüssten, was sie leisten und könnten stolz darauf sein. Und Stephan? „Ich wünsche unserer S-Bahn, dass die letzten, bereits geplanten Strecken noch aktiviert werden“. Nach einer Mini-Pause schiebt er nach: „Ohne Ausschreibung, Bieterkonsortium oder als Teilnetz“.