10 Jahre EVG: „Aus Gegnern sind Freunde geworden“
Mit dem 10-jährigen Jubiläum unserer EVG und mit dem 15-jährigen Geburtstag unseres Fonds soziale Sicherung starten wir in unser Jubiläumsjahr 2021 unter der Überschrift 125 Jahre Eisenbahngewerkschaft.
- Wir feiern 2021: 125 ECHTE Eisenbahnergewerkschaft – freut euch auf ein Jahr voll geschichtlicher Rückblicke, denn es gibt viele Wegbereiterinnen und Wegbereiter, an die wir uns gemeinsam erinnern wollen, Kolleginnen und Kollegen, die aktuell die Zukunft unserer EVG gestalten, aber auch der Blick in die Zukunft bleibt wichtig – es gibt noch viel mehr Gründe, gemeinsam weiterzukämpfen!
- Bleib also aufmerksam und bring dich ein – Werde auch du zum*zur Wegbereiter oder Wegbereiterin!
- Zum Auftakt haben wir mit zwei echten Wegbereitern gesprochen: Alexander Kirchner und Klaus-Dieter Hommel, Vorsitzende unserer beiden Quellgewerkschaften TRANSNET und GDBA
Alexander, Klaus-Dieter, ihr habt als damalige Vorsitzende von TRANSNET und Verkehrsgewerkschaft GDBA zwei Gewerkschaften zu einer zusammengeführt, zumal noch aus unterschiedlichen Dachverbänden. Das ist das, was man eine Herkules-Aufgabe nennt, oder?!
Alexander: Im Nachhinein würde ich das gar nicht mal als eine solche sehen. Da gab es lange Vorläufe. Wir waren bis zur Bahnreform ja eher verfeindet. GDBA und GDL waren das Feindbild der GdED. Bei Personalratswahlen haben wir gegeneinander agiert, in Betriebsversammlungen haben wir uns gegeneinander aufgestellt und man hat versucht, sich gegenseitig Mitglieder abspenstig zu machen. Mit der Bahnreform brach eine neue Zeit an, wir waren plötzlich gezwungen, in Tarifverhandlungen gemeinsam Verantwortung zu übernehmen. In einer schwierigen Phase ging es darum, Beschäftigung abzusichern und ein Beschäftigungsbündnis zu schmieden. Und daraus ist eine gewisse Annäherung entstanden.
Klaus-Dieter: Als ich 1990 in Cottbus mehr zufällig zur Gewerkschaftsarbeit kam, war ich über die Situation bei der DB erschüttert. Da gab es mehrere Gewerkschaften, die sich teilweise feindlich gegenüberstanden. Das hätte ich nicht für möglich gehalten. Schon zu Beginn meiner hauptamtlichen Arbeit für die GDBA hatte ich das Gefühl, dass sich hier etwas ändern musste. Als wir unmittelbar in der Gründungsphase der EVG waren, wurde klar, die Mitglieder der beiden Gewerkschaften waren schon viel weiter als ihre Funktionäre.
2005 gab es einen wichtigen Zwischenschritt auf dem Weg zur gemeinsamen Gewerkschaft: die Tarifgemeinschaft…
Alexander: Ja, seitdem haben wir gemeinsam Tarifpolitik gemacht, federführend Heinz Fuhrmann und ich. Wir haben in dieser Zeit viele Gemeinsamkeiten entwickelt bis hin zu kollegial-freundschaftlichen Beziehungen. Bei der Verabschiedung von Heinz Fuhrmann habe ich das so für mich auf den Punkt gebracht: Aus Gegnern sind Freunde geworden.
Klaus-Dieter: Alex beschreibt das ganz genau und richtig. Diese Tarifgemeinschaft war der Anfang des Fusionsprozesses und schnell wurde klar, welche Richtung nun eingeschlagen werden musste. Leider ist uns dabei eine andere Organisation abhandengekommen.
Hätte es nicht so weiter gehen können? Warum die Verschmelzung?
Alexander: Die Mitglieder wollten Klarheit. Man kann nicht gemeinsame Tarifverträge gestalten und in schwierigen Zeiten gemeinsam Verantwortung übernehmen – und dann in den Betrieben oder bei der Mitgliederwerbung gegeneinander auftreten. Und deswegen war die Forderung der Delegierten 2008 auf dem Gewerkschaftstag der TRANSNET: Entweder kommt ihr jetzt zusammen und macht dann eine Gewerkschaft draus - oder ihr trennt euch wieder. Wir haben uns für den ersten Weg entschieden.
Klaus-Dieter, die Widerstände im Beamtenbund waren nicht gerade gering. Wie seid ihr in der GDBA damit umgegangen?
Klaus-Dieter: Rückblickend bin ich immer noch sehr stolz auf uns. Die Gremien der GDBA haben sehr intensiv und natürlich sehr kontrovers diskutiert. Es gab viele ideologische Vorbehalte, weniger gegen die TRANSNET als mehr gegen den DGB. Insbesondere wegen seiner Positionen zum Berufsbeamtentum. Ich bat deshalb Michael Sommer, auf unserem GWT dazu Stellung zu nehmen. Das war absolut neu. Der DGB-Vorsitzende hat mit seinem Auftritt einen großen Anteil an den dann folgenden Entscheidungen. Der DBB konnte unseren Weg leider nicht akzeptieren und hat mit vielen, auch unfairen, Attacken versucht, die Fusion zu verhindern. Am Ende wurde die Auseinandersetzung gerichtlich bereinigt. Große Unterstützung leisteten unsere ehemaligen Vorsitzenden Adolf Hartmann und Robert Dera, die ja gleichfalls über Jahrzehnte Verantwortung im DBB trugen, aber den Weg hin zu einer neuen Gewerkschaft aus voller Überzeugung unterstützt haben.
Wie erinnert ihr euch heute an diese Zeit der Verschmelzung?
Alexander: Wir haben das 2009 vordiskutiert und innerhalb eines Jahres, bis Ende 2010, durchgezogen. Und das war nicht schwer, sondern eigentlich hat das richtig Spaß gemacht, mit vielen Veranstaltungen vor Ort, mit Mitgliedern und Funktionären diese neue EVG zu gestalten und gemeinsam aufzubauen. Das waren wirklich tolle Erfahrungen und eine tolle Zeit.
Klaus-Dieter: Genau so war es. Für mich waren das in dieser Zeit mehr als 200 Veranstaltungen und ich spürte die große Bereitschaft für die von uns geplante Veränderung. Während am Anfang bei gemeinsamen Veranstaltungen noch zu erkennen war, wo die Kolleginnen und Kollegen welcher Gewerkschaft saßen, wurde das Bild immer bunter und am Ende war eine Trennung schon fast nicht mehr erkennbar. Und viele Kolleginnen und Kollegen machten zum ersten Mal die Erfahrung des Dialoges mit einem Mitglied der anderen Gewerkschaft. Und sie stellten dabei fest: “Mit dem kann man ja auch reden!“
Seit 2010 sind viele neue Kolleginnen und Kollegen Mitglieder geworden, die gar nicht mehr wahrnehmen, dass TRANSNET und GDBA mal Gegner waren…
Alexander: Wenn wir für das Prinzip der Einheitsgewerkschaft sind, dann hat es keinen Sinn, dass sich Kolleginnen und Kollegen in verschiedenen Gewerkschaften gegeneinander aufstellen. In einer Einheitsgewerkschaft haben alle Platz. Dieser Grundgedanke hat uns seit dem Krieg bis heute geleitet und ich hoffe, dass irgendwann der Punkt kommt, wo es wirklich nur noch eine Gewerkschaft in unserer Branche gibt. Und dass die Konflikte, die wir heute haben, für künftige Generationen nur noch Geschichte sind.
Klaus-Dieter, du bist seit wenigen Tagen Vorsitzender der EVG. Dein Wunsch an die EVG, an uns, für die nächste Zeit?
Klaus-Dieter: Vor wenigen Tagen ist mir ein Spruch von Konfuzius aufgefallen: „Wenn der Mensch nicht über das nachdenkt, was in ferner Zukunft liegt, wird er das schon in naher Zukunft bereuen.“ Wir sind eine tolle und erfolgreiche Organisation und wenn wir die EVG vor 10 Jahren genau in diesem Sinne nicht gegründet hätten, dann müssten wir es jetzt tun. Genau so müssen wir jetzt weiter machen!