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Interview Politik

Schiene am Abgrund? „Die Robustheit der Eisenbahn ist weg“

Nicht nur bei der Deutschen Bahn liegt einiges im Argen. Der Verein mobifair e.V. hat die Strukturen des SPNV-Marktes einmal ganz genau unter die Lupe genommen. Der Befund ist eindeutig, sagt mobifair-Vorstand Dirk Schlömer.

Dirk, ihr von mobifair habt den SPNV-Markt laufend im Blick. Was war für euch der Anlass, die Strukturen jetzt einmal ganz genau zu durchleuchten?
Die Lage in der Branche hat sich durch eine Reihe von Ursachen verschärft. Heute haben viele Unternehmen zu kämpfen, weil sie falsch kalkuliert haben oder die Vorgaben falsch waren. Aufgabenträger wollten durch den Wettbewerb Kosten sparen und dafür neue Verkehre bestellen.

Aber dadurch wird die Luft immer dünner, finanziell wie qualitativ. Auf der andern Seite haben wir die knappe Infrastruktur. Je mehr ich bestelle, desto schwieriger wird es, die Verkehre auch robust zu fahren. 10 Minuten Übergang für Personal oder als Wendezeit machen das ganze System immer anfälliger. Und das ist in den vergangenen Jahren passiert.

Wie seid ihr nun bei eurer Analyse vorgegangen?
Wir haben die aktuelle Liste des Eisenbahn-Bundesamtes genommen und geprüft, wer hinter den 550 Unternehmen steckt, die dort aufgeführt sind. Und siehe da, die Unternehmenslandschaft ist weitaus kleiner als gedacht. Viele Marken gehören nur wenigen Unternehmen. Und hinter diesen stehen dann meistens ausländische Staatsbahnen oder andere öffentliche Eigentümer. Nur drei nennenswerte und wirklich private Unternehmen gibt es noch. Zwei sind britische, börsennotierte Konzerne. Das sind NationalExpress (mobico Group) und BenEX (INPP). Und dann gibt’s noch den Sonderfall der familiengeführten RATH Gruppe. Die ist zwar stetig gewachsen, hat aber keine großen Marktanteile.

Wie wird es deiner Meinung nach weiter gehen?
Ich vermute, dass sich die Börsenunternehmen in den kommenden Jahren vom deutschen SPNV-Markt verabschieden werden. Für diese international agierenden Unternehmen sind Renditen maßgebend, und die Kosten für Vertragsstrafen im SPNV fressen diese Rendite schnell auf. Auch die öffentlichen Eigentümer in den Bundesländern oder aus anderen Staaten werden überlegen müssen, wo sie ihre Prioritäten sehen, denn die Kassen der Bundesländer und Kommunen sind auch leer und Investitionen in marode Schulen, Kindergärten oder die eigene Infrastruktur gehen vor.

Was sagt uns all das über 30 Jahre Bahnreform?
Die Robustheit der Eisenbahn ist weg. Was man sich von der Bahnreform erhofft hat, ist gescheitert. Mehr Verkehr auf zu wenig Schiene geht eben nicht. Wir brauchen nachhaltige Investitionen in die Infrastruktur. Man muss nicht nur danach schauen, was heute gebraucht wird, sondern in 20, 30, 40 Jahren. 

Was kann man tun?
Das mag jetzt provozieren, aber wenn wir die Bestandsverkehre eh nicht leisten können, wäre es eine Idee zu sagen: Wir fahren etwas weniger, haben dann aber genug Schiene, Züge und Personal, um das, was wir ankündigen, auch zu realisieren. Zweitens: Bei den Ausschreibungen muss der Aufgabenträger Vorgaben machen, die einen robusten Verkehr ermöglichen. Man muss genügend Personal vorschreiben und die Angebote darauf richtig überprüfen. Dritter Punkt ist eine auskömmliche Finanzierung. Für den SPNV ist wichtig, dass die Regionalisierungsmittel wirklich auf der Schiene ankommen und nicht zweckentfremdet werden. Für Busse, Bahnen und U-Bahnen brauchen wir einen separaten Finanzierungstopf.

Würde auch eine andere Vergabepolitik nützen?
Das ist der vierte Punkt. Metronom hat jetzt den Verkehrsvertrag zurückgegeben, weil der nicht auskömmlich finanziert ist. Inflation, Personalkosten, Pönalezahlungen, das war bei Vertragsabschluss alles nicht kalkulierbar. Es gibt aber keine Möglichkeit, das alles nachzuverhandeln, das ist nach deutschem Vergaberecht verboten. Daher sollte es möglich sein, wieder Direktvergaben zu tätigen. Es wird verhandelt, ein Vertrag geschlossen, und dann setzen sich beide Parteien alle drei Jahre hin und gucken, was angepasst werden muss.
Unsere Tarifforderungen liegen auf dem Tisch. Sind 7,6 % mehr Geld zu viel für die SPNV-Unternehmen?
Überhaupt nicht. Solange es den SPNV gibt, braucht er gutes und motiviertes Personal. Und das bekommen die Unternehmen nur, wenn sie gute Arbeit auch gut bezahlen und auch ansonsten für attraktive Rahmenbedingungen sorgen. Deshalb fordert mobifair auch, dass die Aufgabenträger die kalkulierten Personalstärken nachprüfen. Wurde hier insgesamt zu wenig Geld eingeplant, dann muss nachgesteuert werden. Die Alternative sind noch mehr Personalmangel und noch mehr Zugausfälle. Schon heute werben sich die Unternehmen ihre Beschäftigten gegenseitig ab, wenn die Bedingungen nicht stimmen. Also – wer am Personal spart, spart am falschen Ende.