2. Mai 1933: „Die dunkelste Stunde der Gewerkschaften “
Vor 90 Jahren wurden in Deutschland die freien Gewerkschaften zerschlagen. Mit der Erstürmung der Gewerkschaftshäuser durch die Nazis am 2. Mai 1933 begann auch die Verfolgung von Gewerkschafter:innen, die den neuen Machthabern ein Dorn im Auge waren. Viele von ihnen gingen in den Widerstand. An sie erinnert die EVG in besonderer Weise.
Die Zeitungen mit den endlosen Berichten über den neugeschaffenen Feiertag der nationalen Arbeit liegen noch frisch auf den Schreibtischen der Gewerkschaftsbeamten, als vormittags, Punkt 10 Uhr die Schlägerbanden der Nazis erscheinen und das seit Monaten betriebene Werk der Zerstörung vollenden.“ So beschreibt der Historiker Peter Scherer den wohl dunkelsten Moment in der Geschichte der freien Gewerkschaften. In ganz Deutschland wurden am 2. Mai 1933 die Büros der freien Gewerkschaften besetzt. Der Ablauf, so Peter Scherer weiter, „ist auf bedrückende Weise überall derselbe. Führende Kollegen werden verhaftet, die übrigen werden gezwungen zu bleiben und ihre Arbeit fortzusetzen, wobei ihnen gleichzeitig alle Möglichkeiten genommen werden, das wirklich zu tun. Widerstand rührt sich nirgends. Ein gespenstiger Alltag beginnt, Kassen werden übergeben, Vermögen beschlagnahmt, Immobilien zweckentfremdet, eine dubiose nationalsozialistische Betriebszellen-Organisation (NSBO) spielt kurze Zeit Gewerkschaft.“
Der 2. Mai steht gleichbedeutend neben anderen Daten aus dem Frühjahr 1933 für die Knüppelschläge, die die Nazis der Republik und der demokratischen Gesellschaft in Deutschland versetzten: dem 27. Februar mit dem Reichstagsbrand und der darauf folgenden Außerkraftsetzung der Weimarer Verfassung und der einsetzenden Verfolgung von Nazi-Gegnern; dem 23. März mit der Verabschiedung des „Ermächtigungsgesetzes“, mit dem die NSDAP faktisch die Gewaltenteilung
aufhob; dem 1. April mit dem ersten Boykott jüdischer Geschäfte in Deutschland; dem 10. Mai mit der Bücherverbrennung.
Die Gewerkschaften hatten auf die Machtübergabe an die Nazis am 30. Januar 1933 wie viele Menschen und Institutionen reagiert. Man nahm an, der Spuk werde bald vorbei gehen, die Hitler-Regierung so kurzlebig sein wie viele der Weimarer Republik; man werde schon durchkommen, wenn man sich für eine gewisse Zeit unpolitisch gab. So auch der Einheitsverband der deutschen Eisenbahner. „Das Verbot der Eisernen Front und des Reichsbanners wurde nach der Wahl kampflos hingenommen“, schreibt EVG Geschichte. „Wenige Tage später, am 11. März 1933, wurde das bis dahin konsequent antinationalsozialistische Organ des Einheitsverbandes bis einschließlich 4. April 1933 verboten. Ähnliche Eingriffe waren jetzt längst selbstverständlich. Breites Umfallen nicht minder.“
Ende März berieten Vorstand und Beirat des EdED über die Situation und das weitere Vorgehen. „Das Ergebnis der Konferenz bedeutete den erzwungenen Rücktritt des gewählten Vorsitzenden Scheffel sowie der Vorstandsmitglieder Jochade und Breunig.“
Am 17. März 1933 erklärten sich die Christlichen Gewerkschaften für unpolitisch, am 29. März schrieb der Vorsitzende des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes ADGB, Theodor Leipart, an Hitler und bot ihm die völlige Trennung von der SPD, Kompromissbereitschaft der freien Gewerkschaften und Zusammenarbeit mit den Unternehmern zur Lösung sozialer Fragen an.
Im Gegenzug hielten die Nazis für die Gewerkschaften ein vergiftetes Geschenk bereit. Den 1. Mai, seit Ende des 19. Jahrhunderts bereits Kampftag der Arbeiter:innen, erklärten die Nazis zum gesetzlichen Feiertag, als „Tag der Nationalen Arbeit“. Den zelebrierten sie unter anderem mit einer wuchtigen Feier inklusive Lichtschau auf dem Reichssportfeld in Berlin. In dieser schlummerte bereits das Unheil. Propagandaminister Joseph Goebbels notierte in seinem Tagebuch: „Morgen werden wir nun die Gewerkschaftshäuser besetzen, Widerstand ist nirgends zu erwarten.“
Mit der Zerschlagung der freien Gewerkschaften begann für viele Arbeiterinnen und Arbeiter, die sich gewerkschaftlich engagierten, eine Zeit des Leidens. Viele von ihnen wurden verfolgt, in Zuchthäuser oder die allmählich entstehenden Konzentrationslager gebracht und dort misshandelt, gefoltert oder gar ermordet. Viele von ihnen verloren ihre Arbeit und mussten sich als Handelsvertreter oder in ähnlichen prekären Verhältnissen durchschlagen. Darunter auch viele Eisenbahnerinnen und Eisenbahner. An sie erinnert seit dem 2. Mai 2019 ein Informations- und Gedenkort. Unter dem Motto „Die Unsichtbaren sichtbar machen“ informiert der Gedenkort an die individuellen Schicksale von 123 Eisenbahner:innen, die von den Nazis verfolgt, drangsaliert oder ermordet wurden.
Obwohl die Nazizeit sicherlich zu den am besten erforschten Epochen der deutschen Geschichte gehört, ist ein Kapitel erst in den vergangenen Jahren der Vergessenheit entrissen worden: der Beitrag von Arbeitenden, speziell auch von Beschäftigten der Reichsbahn, am Widerstand gegen die Nazis. Es ist vor allem das Verdienst des Arbeitskreises EVG Geschichte, diesen besonderen Aspekt der Geschichte Nazideutschlands beleuchtet zu haben. Viele kennen die Devise „Räder müssen rollen für den Sieg“; ab 1936 wurde die Deutsche Reichsbahn schrittweise zur „vierten Waffengattung“ ausgebaut. Das ist wahr. Und wahr ist auch, dass die Züge in die Vernichtungslager nicht von alleine fuhren; dass sie von Lokführern gesteuert wurden, dass Fahrdienstleiter die Weichen stellten. Aber wahr ist auch, dass es bei der Reichsbahn stille Helden gab; die Gefangenen halfen, die jüdische Mitbürger:innen versteckten, die durch Sabotageakte Züge in die Irre schickten. Dies alles unter dem Einsatz ihres Lebens und ihrer Gesundheit. Wir können von Glück sagen, dass es sie gab.
Der Zusammenbruch der Gewerkschaften unter den Nackenschlägen der Nazis wird im Allgemeinen mit ihrer Schwäche erklärt, die wiederum durch ihre Zerrissenheit und Zersplitterung zustande kam. Gerade im Gedenken an den 2. Mai 1933 dürfen wir daher nie die Worte des Gewerkschaftsführers Wilhelm Leuschner vergessen. Am Tage vor seiner Hinrichtung in Plötzensee 1944 notierte er in seinem Tagebuch Worte, die für uns bis heute Verpflichtung sind: „Schafft die Einheit!“