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Korridorsanierung: Blick hinter die Kulissen

Eine „neue und bessere Bahn“ soll entstehen, so DB-Chef Richard Lutz zum Start der Baumaßnahmen an der Riedbahn. Für die Generalsanierung wird die Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim für fünf Monate komplett gesperrt. Was bedeutet das für die Beschäftigten? Wir haben uns vor Ort umgesehen.

Alban Jung ist sauer – und zwar richtig sauer. „Diese Zwei-Klassen-Gesellschaft geht überhaupt nicht“, empört sich der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates DB Regio Bus Mitte. Zwei Tage nach dem offiziellen Beginn der Bauarbeiten an der Riedbahn stehen wir morgens um kurz nach 8 Uhr in Mannheim an der Haltestelle der Fernbusse zum Frankfurter Flughafen. Die sollen die Züge ersetzen, die bis Ende des Jahres nicht mehr fahren werden. 

An der Haltestelle, die von DB Fernverkehr eingerichtet wurde, treffen wir auf einen jungen Mann, der die Aufgabe des Reisenden-Lenkers übernommen hat. Ein Streifenwagen des Ordnungsamtes fährt vor. Der Beamte bietet seine Unterstützung an. Wenn Autos verbotswidrig in der improvisierten Bushaltestelle parken, möge er bitte sofort anrufen. Man kümmere sich umgehend um einen Abschlepper. Das erleichtert die Arbeit. Denn da, wo jetzt die Busse halten, war ursprünglich mal ein Taxistand. Immer wieder halten hier Autofahrer, Lieferwagen und auch fremde Busse und blockieren so die Zufahrt zur Haltestelle. Staus sind da vorprogrammiert.

Viel Zeit, die „Falschparker“ zu vertreiben, bleibt nicht. Der Lotse am Busbahnsteig hat ordentlich zu tun. Neben der Beantwortung vieler Fragen der Reisenden muss ein prüfender Blick auf die Fahrscheine geworfen werden. Die Anzahl der Fahrgäste gilt es zu erfassen, die Kennzeichen der Busse, ebenso wie deren Ankunfts- und Abfahrtszeiten. 21 mal macht er das in seiner Schicht, die bis 13:00 Uhr geht. Nicht zu vergessen: das Foto, das bei Arbeitsantritt vor der Bushaltestelle gemacht und an den Arbeitgeber geschickt werden muss. „Damit der weiß, dass ich auch da bin“, sagt der junge Mann lächelnd. Denn seine Leistung hat DB Fernverkehr bei einem Dienstleister eingekauft. 

Das, vor allem aber das Arbeitsumfeld, empören Alban Jung. Es gibt keinen Schutz vor Sonne und erst recht keinen vor Regen. Das Wartehäuschen: ein Witz; zudem fehlt es an Möglichkeiten, private Dinge aufzubewahren. Der Rucksack des Lotsen baumelt an der Haltestelle, jeder könnte zugreifen. Der Gang zur Toilette: jedesmal kostenpflichtig, ein Pausenraum fehlt. 

„Völlig inakzeptabel“, stellt der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates DB Regio Bus Mitte fest. Auch wenn sich die DB AG vermutlich damit herausreden werde, dass das alles Sache des beauftragten Subunternehmers sei, sehe er die Deutsche Bahn gleichwohl in der Verantwortung. „Die Firmen fahren schließlich für die DB AG, da müssen sich die zuständigen Leute bei DB Regio auch kümmern.“.

Die neuen Kolleg:innen, die direkt bei der Deutschen Bahn angestellt sind, haben es da deutlich besser. Sie sind stets zu zweit unterwegs und fühlen sich gut aufgenommen im Unternehmen. „Bis jetzt läuft alles reibungslos“, sagt einer, der die Fahrgäste an der Straßenbahnhaltestelle informiert. „Die meisten Reisenden haben großes Verständnis – und wenn es doch mal Ärger geben sollte: ich habe vorher als Bademeister gearbeitet, ich kann mit Stress umgehen“, sagt er lächelnd. 

Vor große Herausforderungen stellt der Schienenersatzverkehr auf den Fernstrecken Menschen, deren Mobilität eingeschränkt ist. Rollstuhlfahrer:innen werden auf den Direktverbindungen, wie der von Mannheim zum Frankfurter Flughafen, nicht mitgenommen, weil dort überwiegend Reisebusse eingesetzt werden. Und die haben keine Möglichkeit, Rollstühle sicher zu transportieren. Ganz anders ist die Situation im Regionalverkehr. Kinderwagen, Rollstuhl – alles kein Problem – nur Fahrräder müssen aus Kapazitätsgründen draußen bleiben. 

Stress pur für Busfahrer:innen

Mit Anke Hoffmann stehen wir vorm Frankfurter Hauptbahnhof. Gemeinsam mit einigen ihrer Kolleg:innen will sich die Vorsitzende des Gesamtbetriebsrats DB Regio Bus Ost GmbH (DRO) selber ein Bild von der augenblicklichen Situation machen. Wir steigen in den Bus nach Riedstadt-Goddelau und fahren gut eine Stunde bis zur Endstation. Fahrkartenkontrollen gibt es im Regionalverkehr beim Einstieg nicht. Vereinzelt kontrollieren KIN, ansonsten wurde den Kolleg:innen, die auf keinen anderen Strecken eingesetzt werden wollen, empfohlen, während der Sanierung Urlaub zu nehmen oder Mehrleistungen abzubauen.

In den purpurfarben gehaltenen Bussen wird die jeweilige Fahrstrecke mit den nächsten Haltestellen und den sich dort bietenden Anschlussmöglichkeiten auf großen Displays angezeigt, die extra eingebaut wurden. Die Verständigung mit den Fahrer:innen ist hier und da schwierig. Die meisten wurden in Spanien und Polen angeworben. Eine überdurchschnittliche Bezahlung, ordentlich Spesen und eine vom Arbeitgeber bezahlte Wohnung waren für viele so interessant, sich zu bewerben. 

Zum „Mitarbeiterstamm“ gehören aber auch „alte Hasen“ wie Gerd Neumeyer, der früher auf den mittlerweile eingestellten Fernbuslinien von BerlinLinienBus, einer 100prozentigen Tochter der DB AG, gefahren ist und eigentlich den Ruhestand genießt.

Er hätte sich gewünscht, dass die Fahrer:innen noch ein wenig intensiver geschult worden wären. „Ich bin auf einer ganz anderen Strecke eingesetzt worden, das darf eigentlich nicht passieren“, kritisiert er. Denn das Fahren mit einem zwölf Meter langen Gelenkbus, durch enge Ortsdurchfahrten und zahlreiche Kreisverkehre ist schon eine Herausforderung. Der eine oder andere kleinere Blechschaden ist da in den ersten Tagen nicht ausgeblieben. Für so manche:n Fahrer:in bedeutet das puren Stress – und für die Anwohner:innen an der neuen Buslinie erhebliche Belastungen.

Ruhe im Stellwerk

Erfreulich ruhig ist es hingegen – aufgrund der Streckensperrung – am Arbeitsplatz von Janet Meier. Wir treffen die Fahrdienstleisterin bei einer Nachtschicht im Stellwerk Biblis. Während auf einer der hochbelasteten Strecken Deutschlands ansonsten gut zu tun ist, muss derzeit nur eine Nebenstrecke betreut werden. „Wir sind für den Notfall da, das ist so Vorschrift.“ 

Unten im Bahnhof rattern die Baumaschinen im Scheinwerferlicht. Um ihre Maschinen entsprechend rangieren zu können, müssen sich die Arbeiter die Weichen selber stellen. Das gilt auch für Anschlussbedienfahrten der umliegenden Unternehmen mit eigenem Gleisanschluss. Mangels Alternative rumpeln die jeden Abend in Schrittgeschwindigkeit durch die Baustelle. „Da es sich um ein Baugleis handelt und wir ‚abgeklemmt‘ sind, können wir nicht unterstützen“, erklärt Janet Meier.

Nach Abschluss der Sanierung ist dann ganz Schluss. Alle Stellwerke an der Strecke verlieren ihre Funktion, die Arbeit wird zentral in ein neu gebautes ESTW verlagert. Wer dort arbeiten will, muss sich erst qualifizieren. „Für viele bedeutet das dann längere Fahrzeiten und eine höhere finanzielle Belastung“, stellt Janet Meier fest. Denn wie die meisten ihrer Kolleg:innen fährt sie aufgrund der Arbeitszeiten mit dem Auto zum Stellwerk. „Wäre schön, wenn’s vom Arbeitgeber mal einen Tankgutschein geben würde; da glaube ich aber nicht dran“, meint die Fahrdienstleiterin – und schaut prüfend auf ihre Bildschirme.

Jede Schicht ein Abenteuer

Deutlich zu spüren bekommen die Auswirkungen der Riedbahnsanierung unter anderem auch die Lokführer:innen, die auf den zeitintensiveren Ausweichstrecken reichlich Überstunden ansammeln, sagt Karsten Ulrichs, Sprecher der Zentralen Fachgruppe Lokfahrdienst. „Jede Dienstschicht ist ein Abenteuer. Es gibt ja nicht nur die Riedbahn, auch auf anderen Strecken wird gebaut“. Das bleibe für den Zugverkehr nicht folgenlos. „Das System ist mittlerweile sehr fragil, streßfrei fährst Du da gar nichts mehr.“ Hier kann das „deutlich machen“ auch raus Zumal die vorliegenden Fahrpläne häufig nicht der Realität entsprechen würden. Und so komme es immer wieder vor, dass Bahnhöfe, an denen ein Personalwechsel stattfindet, oftmals nur mit Überstunden zu erreichen sind. „Nicht wenige meiner Kolleg:innen werden im Herbst bereits ihre Jahresarbeitszeit erreicht haben. Das macht deutlich, wo wir stehen“, fasst er die augenblickliche Situation zusammen. Und die wird angesichts weiterer Bauvorhaben nicht besser werden.

Auch die ohnehin schon langen Arbeitszeiten der Kolleg:innen in der Bordgastronomie verlängern sich durch die zeitraubenden Umleitungsstrecken deutlich. „Schichten von bis zu zwölf Stunden gehen schon an die Grenze des Zumutbaren, auch wenn sie im Rahmen des gesetzlich Erlaubten liegen“, merkt Betriebsrätin Silke Hirtenjohann an. „Die Kolleg:innen werden digital über ihre aktuellen Arbeitszeiten informiert und können dem dann zustimmen oder mit der Disposition eine individuelle Lösung suchen.“ Das biete Spielräume.

Die langen Schichten seien aber nicht allein das Problem. „Unsere Kolleg:innen  müssen ja auch zur Arbeit und wieder nach Hause kommen. Viele haben dafür die Riedbahn genutzt. Jetzt müssen sie deutlich längere Fahr- und damit auch entsprechend kürzeren Ruhezeiten in Kauf nehmen. Darunter leidet bei so manchen das Privatleben“, sagt Silke Hirtenjohann. Deshalb würden die Betriebsräte der EVG die weiteren Entwicklungen – mit einem Ohr bei den Beschäftigten – aufmerksam verfolgen, auch wenn die Situation eine besondere sei. 


„Nicht wenige meiner Kolleg:innen werden im Herbst bereits ihre Jahresarbeitszeit erreicht haben. Das macht deutlich, wo wir stehen“

Karsten Ulrichs, Sprecher der Zentralen Fachgruppe Lokfahrdienst