Energiekosten: Überforderung verhindern!
Deutschland stehen ein schwieriger Herbst und Winter bevor. Erstmals müssen Privathaushalte fürchten, ihre Energierechnungen nicht mehr bezahlen zu können; die Wirtschaft befürchtet eine Insolvenzwelle. Die Bundesregierung reagiert. Aber reicht das aus?
Deutschland im Herbst 2022: Die Inflation erreicht Rekordhöhen, getrieben vor allem von den weiterhin steigenden Energiekosten. Privathaushalte denken über Konsumverzicht nach, um ihre Energierechnungen bezahlen zu können.
In den Entlastungspaketen der Bundesregierung und in der sog. Konzertierten Aktion sind bereits Maßnahmen enthalten bzw. vereinbart worden, die in die richtige Richtung gehen.
- Strom- und Gaspreis sollen gedeckelt werden. Die konkrete Umsetzung soll von einer Kommission entwickelt werden. Der DGB hat einen Vorschlag vorgelegt: Demzufolge soll privaten Haushalten ein bezahlbarer Grundbedarf ermöglicht werden; oberhalb dessen bildet sich der Preis am Markt. Damit wird bei Haushalten mit höherem Verbrauch ein effektiver Anreiz gesetzt, Energie einzusparen. „Die Bundesregierung ist in der Pflicht, die privaten Haushalte vor den massiven Energiepreisschocks zu schützen. Der Grundbedarf an Strom und Gas muss für alle Menschen bezahlbar bleiben“, sagt die DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi. „Wer hingegen auf großem Fuß lebt, sollte dafür auch bezahlen.“
- Der Schutz für Wohnungsmieter:innen, die ihre Nebenkostenabrechnung nicht auf einen Schlag bezahlen können, soll verbessert werden. Hierfür soll es Änderungen im Mietrecht und im Energierecht geben. Wie genau das geschehen soll, ist bisher aber noch unklar. Zusammen mit dem DGB fordern wir für die Dauer der Energiekrise ein Kündigungs-Moratorium.
- Es gibt eine Energiepreispauschale auch für Senior:innen und Studierende. Diese Bevölkerungsgruppen waren bei den vorigen Entlastungspaketen schlicht „vergessen“ worden. Die EVG hatte unmittelbar reagiert und energisch gegen diese soziale Unausgewogenheit protestiert - allen voran die Senior:innen und die Jugend. „In Kooperation mit der EVG-Jugend hat die Bundesseniorenleitung laut und erfolgreich für Gerechtigkeit gesorgt“, bilanziert die Vorsitzende der Bundesseniorenleitung, Annegret Pawlitz. „Somit ist mal wieder bewiesen, dass wir gemeinsam stark sind - und dass Gewerkschaft auch nach dem aktiven Berufsleben wirkt und hilft!“ Beschäftigte haben die Energiepreispauschale im September ausbezahlt bekommen; für Rentner:innen bereitet die KBS die Auszahlung für Mitte Dezember vor.
Aus Sicht der EVG sind in den Entlastungspaketen der Bundesregierung auch wichtige verkehrspolitische Weichenstellungen enthalten, die jetzt vorangetrieben werden müssen. So ist ein bundesweites preiswertes Nahverkehrsticket angedacht, das an das 9-Euro-Ticket anknüpfen soll. Der Schienenetat soll um 1,5 Milliarden Euro aufgestockt werden, wobei die konkrete Verwendung der Mittel unklar ist.
Das ist zwar gut. Aber: Es ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn auch im Schienenverkehr schlagen die Preissteigerungen überall zu Buche. Sie verteuern die Baukosten beim Ausbau und bei der Erhaltung der Infrastruktur; sie verteuern den Eisenbahnbetrieb selbst, denn der ist energieintensiv. Allein die Deutsche Bahn rechnet mit 2 Milliarden Euro zusätzlicher Belastung nur durch die steigenden Energiekosten.
Die klare Konsequenz: Die Investitionsmittel für das Schienennetz müssen schnell, deutlich und dauerhaft erhöht werden. Die angekündigten Entlastungen für energieintensive Unternehmen müssen auch die Eisenbahnunternehmen erfassen - denn allemal ist Eisenbahn ein energieintensives Geschäft. Und auch bei den Regionalisierungsmitteln müssen die steigenden Preise berücksichtigt werden; anderenfalls wären Angebotskürzungen und Ticketpreissteigerungen die logische Folge. „Das wäre das genaue Gegenteil von Verkehrswende, sozialverträglicher Mobilität und flächendeckendem Deutschlandtakt“, sagt der Stellvertretende EVG-Vorsitzende Martin Burkert.
Denn: Die Verlagerung von Personen- und Güterverkehr auf die Schiene muss oberste Priorität haben, um ein klimaneutrales Verkehrssystem zu erreichen. Leider lässt die derzeitige Haushaltsplanung nicht erkennen, dass die Bundesregierung dieses Ziel ernsthaft ansteuert, kritisierte Martin Burkert anlässlich des Schienengipfels beim Bundesverkehrsministerium Mitte September. „Ohne zusätzliche Gleise und Weichen kann auch Digitalisierung das Problem nicht lösen. Ohne zusätzliche Gleise und Weichen können auch nicht Personen- und Güterverkehr gemeinsam verbessert werden. Und vor allem braucht es mehr Personal.“
Vor allem Verkehrsminister Volker Wissing müsse endlich in Bewegung kommen. „Das Erreichen der Klimaziele ist unter diesem Minister in weite Ferne gerückt.“ Aber auch die Verkehrsunternehmen sind in der Pflicht. Denn zwar hat die Schiene einen Umweltvorteil gegenüber den anderen Verkehrsträgern - noch. Die aber holen auf. So wird demnächst in Hessen der erste Autobahn-Abschnitt mit Oberleitungen für Lkw in Betrieb genommen. Der Lkw-Verkehr wird damit ein bisschen „grüner“.
Bereits im vorigen Jahr hat die EVG dieses Thema vorangetrieben. Wir haben alle Geschäftsführungen der Branche angeschrieben und sie aufgefordert, uns mitzuteilen, inwiefern sie das Thema Nachhaltigkeit vorantreiben, wie z. B.: Geantwortet hat - genau ein Unternehmen, die Hessische Landesbahn. „Im Busbereich investieren wir derzeit in die Umrüstung unseres Betriebshofs in Hofheim für den Betrieb und die Instandhaltung von Elektrobussen. Auch im Bahnbereich setzen wir uns seit längerem mit neuen Antriebsformen auseinander.“
Die nachhaltige Umsetzung all dieser Themen, heißt es in dem Antwortschreiben weiter, „steht und fällt natürlich […] mit der Bereitschaft der Politik, hier die entsprechende Finanzierung auf lange Sicht sicherzustellen. Als Landesunternehmen befinden wir uns hier in einem konstruktiven Austausch mit den entsprechenden Ministerien …“
Immerhin, wenn im Dezember 2022 die DB-Tochter Start Deutschland GmbH das Taunusnetz des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV) übernimmt, wird dort die weltweit größte Flotte an wasserstoffbetriebenen Zügen zum Einsatz kommen. RMV hat die 27 Züge angeschafft und stellt diese über eine Tochterfirma dem Betreiber zur Verfügung. „Unser Ziel“, sagt RMV-Geschäftsführer Knut Ringat, „ist es, den Umweltvorteil von Bus und Bahn auszubauen und lokal emissionsfreie Mobilität anzubieten.“ Das ist der richtige Weg. Noch sind das vereinzelte Lösungen. Wenn die Verkehrswende gelingen soll, brauchen wir mehr Innovationen auch im System Schiene selbst.