Gedenkstättenfahrt: „Beeindruckend und erschreckend zugleich“
Im Oktober 2021 unternahmen junge Kolleginnen und Kollegen der EVG und unserer österreichischen Schwestergewerkschaft vida eine Gedenkstättenfahrt nach Berlin. Einer von ihnen hat für die imtakt einen persönlichen Bericht dieser Tage geschrieben.
Ich war noch nie auf einer Gedenkstättenfahrt, geschweige denn konnte ich mir vorstellen, wie so etwas aussieht. Eines Tages kam ein Arbeitskollege und Freund auf mich zu und fragte mich, ob ich Interesse hätte, bei einer internationalen Gedenkstättenfahrt mit unserer österreichischen Partnergewerkschaft vida teilzunehmen. Ich so: "Och nö! So eine Gedenkstättenfahrt ist doch voll langweilig." Nach langem Hin und Her konnte er mich dennoch überzeugen, mich anzumelden.
An einem Sonntag Ende Oktober war es dann so weit: Immer noch reich an Bedenken und mit entsprechender Skepsis brach ich nach Berlin auf. Noch am selben Abend starteten wir ins Seminar. Insgesamt hatten sich 29 Teilnehmer:innen angemeldet, 16 aus Österreich und 13 aus Deutschland. Nach kurzer Zeit war das Eis schon gebrochen und es wurde sich untereinander rege ausgetauscht.
Am Montagmorgen ging es auch schon direkt in die inhaltliche Arbeit. Anhand eines Zeitstrahles bekamen wir verdeutlicht, wann die NSDAP gegründet wurde, wie Hitler die Macht übernahm, wie schnell er sich seiner politischen Gegner, insbesondere auch aus dem gewerkschaftlichen Umfeld, entledigte und wie er seine rassepolitischen Ziele umsetzte. Dabei war es beeindruckend und gleichzeitig erschreckend, zu sehen, in welcher kurzen Zeit die Nazis ihre Macht ausbauen und festigen konnten.
Nach dem ersten inhaltlichen Part ging es am Nachmittag dann zur Dauerausstellung "Topographie des Terrors". Dort wurde uns erklärt, wie das NS-Regime und der dazugehörige Apparat ihre Macht ausbauten und auf welche Weise sie politische Gegner entfernten. Dabei wurde besonders auf die Rolle der Gestapo eingegangen, deren Hauptzentrale sich einst an dem Ort der Ausstellung befand. Es war schrecklich, zu erfahren, wie die Gestapo mit ihren Häftlingen umging.
Zum Abschluss des Tages gab es noch die Möglichkeit, sich den Film "Nebel im August" anzuschauen. Darin wird die sogenannte „Aktion T4“ – auch als „Euthanasie-Programm“ bekannt – thematisiert. Der Film war sehr gut und vermittelte recht anschaulich, wie die Nazis Menschen mit Behinderungen systematisch ermordeten und die dabei gewonnenen Erkenntnisse nutzten, um auf perfide Weise die massenhafte Ermordung der Jüdinnen und Juden zu perfektionieren.
Der zweite Seminartag führte uns zunächst zum „Haus der Wannseekonferenz“. Hier trafen sich am 20. Januar 1942 führende NS-Funktionäre, um die Fortführung des Holocaust an den Juden Europas effizienter zu organisieren und zu koordinieren. Das dabei zu Tage tretende menschenverachtende Kalkül machte mich sehr nachdenklich.
Unsere Exkursion führte uns weiter zum Mahnmal "Gleis 17" in Berlin Grunewald. Dies war einer der drei Deportationsbahnhöfe in Berlin. Anhand der in der Bahnsteigkante eingestanzten Zahlen kann man betrachten, wie viele Menschen Opfer von Deportationen wurden und an welchen Ort sie verschleppt wurden. Das Mahnmal wurde von der DB AG gestiftet und soll auch an die Mitschuld der Reichsbahn an den Deportationen erinnern. Dabei fragte ich mich, inwiefern Eisenbahner:innen über die Pläne und Durchführung Bescheid wussten und wenn ja, inwieweit sie was dagegen hätten tun können?
Nach einer Mittagspause besuchten wir das zentrale Holocaust-Denkmal. Obwohl ich hier schon öfter war, war es für mich völlig neu, dass sich unter dem Gelände eine Dauerausstellung befindet. Hier werden viele Fotos von den Verbrechen sowie Briefe und Lebensläufe von KZ-Insassen gezeigt. Es war besonders schaurig zu sehen, was die letzten Worte der Opfer waren. Ich versank so sehr in der Ausstellung, dass ich völlig die Zeit vergaß und von unserer Seminarleiterin daran erinnert werden musste, dass wir auch noch zu den beiden Erinnerungsstätten an die im NS verfolgten Homosexuellen und für die ermordeten Sinti und Roma wollen. Dass neben den Juden weitere Bevölkerungsgruppen aufgrund ihrer Herkunft oder sexuellen Orientierung verfolgt und ermordet wurden, hielt mir wieder vor Augen, in welcher Freiheit wir heute leben.
Zum Abschluss besuchten wir noch das Denkmal „Züge ins Leben - Züge in den Tod“ am Bahnhof Friedrichstraße. Dieses thematisiert die Verbrechen, die an den Kindern begangen worden sind – für mich die unschuldigsten aller Opfer. Das Denkmal zeigt sieben Kinder, von denen zwei nach Großbritannien geschickt und so gerettet werden konnten, während die fünf anderen ins KZ kamen. Es ist einfach traurig, dass die Nazis keinen Halt vor den Schwächsten machten und es keine Menschlichkeit gab.
Auch am Mittwoch waren wir wieder viel unterwegs. Zunächst stand der Besuch des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit auf dem Plan. In den bis heute existierenden Baracken wurde einem ganz mulmig und ich konnte erahnen, unter was für Umständen die vielen Zwangsarbeiter der Nazis gelebt haben müssen. Hierbei wurde mir bewusst, in was für einer sorgenfreien Welt wir uns doch befinden und alle Annehmlichkeiten in unserem Leben haben.
Am Nachmittag wurde uns in der Gedenkstätte Deutscher Widerstand bewusst gemacht, dass es durchaus Menschen gab, die sich dem Regime widersetzten. Diese wurden aber, wie bereits erwähnt, schnell und brutal beseitigt. Dazu gehörten auch viele Gewerkschafter, was mich abermals sehr bedrückte und nachdenklich machte. Unter anderem auch, weil sie leider nicht so eine Bekanntheit erlangten wie Georg Elser und Graf von Stauffenberg.
Am vorletzten Tag der Bildungsreise ging es in die Gedenkstätte des KZ Sachsenhausen. Ich hatte noch nie eine Gedenkstätte eines KZ besucht und war dementsprechend aufgeregt. Man konnte sich vorstellen, wie die KZ-Häftlinge hier leben mussten: eng zusammengepfercht. Die Mauern waren hoch und die Zäune unter Hochspannung. Es wurde gepeinigt; Häftlinge wurden quasi gezwungen, sich selbst umzubringen oder einfach umgebracht. Ich fragte mich immer wieder: Wie und warum konnten Menschen nur sowas tun? Eine richtige Antwort werde ich vermutlich nie bekommen.
Es war einer der für mich emotionalsten Orte auf dieser Bildungsreise. Auch weil mir am Gedenkstein des Deutschen Gewerkschaftsbundes erneut die Unterdrückung und Verbrechen an Gewerkschafter:innen vor Augen geführt wurde. Dabei drehte sich die ganze Zeit eine Frage in meinem Kopf: "Ob ich, wenn ich damals gelebt hätte, als aktiver Gewerkschafter auch umgebracht worden wäre? Und wie sähe es mit meinen Kolleg:innen aus?"
Am Freitag beschäftigten wir uns noch mit dem heutigen Rassismus, Antisemitismus und mit dem Thema Diskriminierung. Dabei fand ich es besonders schade zu sehen, dass es nach dem ganzen Leid, was damals passiert ist, sowas bis heute gibt. Ich wünsche mir auf jeden Fall, dass alle Menschen endlich verstehen, dass wir am Ende doch irgendwo gleich sind und gleichgestellt sein sollten.
Die Woche hat mir neue (internationale) Freundschaften gebracht und ich konnte viele Erfahrungen mitnehmen. Ich habe mal wieder erkannt, dass wir doch ein echt gutes Leben haben und dass es uns viel schlechter gehen könnte. Aber wir sollten niemals vergessen, was passiert ist und uns stets für die Schwachen und Minderheiten stark machen. Und ganz wichtig: Wir sollten unsere Freiheit stets beschützen – es kann sich schneller ändern, als man glaubt!
Eine Gedenkstättenfahrt ist nicht so langweilig wie gedacht und ich bin jetzt schon gespannt, was mich auf dem zweiten Teil in Österreich erwartet.