„Multi Hub Hamm“: Mehr Güterverkehr auf der Schiene – so geht das!
„Mehr Güterverkehr auf der Schiene“ ist seit Jahren eine Dauer-Forderung. Faktisch jedoch: eine Worthülse. Denn im Gegenteil haben Politik und Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten einseitig auf den Straßengüterverkehr gesetzt. Wie es anders geht, zeigen EVG-Kolleginnen und Kollegen aus Hamm/Westfalen.
Die Deutsche Bahn hat sich in der Vergangenheit aus Kostengründen auf wenige große Kunden und Branchen sowie auf Verkehre über lange Entfernungen in sogenannten Ganzzügen konzentriert. Der Einzelwagenverkehr blieb auf der Strecke – und zugleich ist viel Eisenbahninfrastruktur abgebaut worden, die in den meisten Fällen auch nicht mehr zurückgeholt werden kann.
Genau das aber könnte beim Rangierbahnhof Hamm nun doch gelingen. Einstmals war er einer der größten Güterverkehrsknoten in Europa, inzwischen wird er für seinen traditionellen Zweck, überregionale Zugbildung im Einzelwagenverkehr, nicht mehr benötigt. Bis auf die Gleise für das örtliche Aufkommen ist die Anlage heute stillgelegt. Die Deutsche Bahn wollte das Gelände entwidmen und es für Gewerbegebiete und Wohnungsbau zur Verfügung stellen.
„Die Bahn hatte das Gelände bereits aufgegeben“, sagt Rainer Wilke. Der heutige Ruheständler, ehemals Führungskraft bei DB Cargo, und Jörg Hensel, Vorsitzender des EVG-Ortsverbandes, fragten: „Man muss doch was bahnbezogenes mit dem Bahngelände machen können?“
Dann steckten Kolleginnen und Kollegen aus dem EVG-Ortsverband Hamm-Bielefeld die Köpfe zusammen und tüftelten ein entsprechendes Konzept aus. Darunter auch Nahbereichsplaner, Triebfahrzeugführer, Gruppenleiter – Eisenbahnerinnen und Eisenbahner also mit Sachverstand und Herz für die Idee. „Es ging uns darum, zusätzlichen Verkehr auf die Schiene zu bringen“, sagt Rainer Wilke. Die Ausgangslage war günstig: In Hamm stehen 60 Hektar Fläche zur Verfügung, die nicht genutzt sind, rechtlich gesehen aber immer noch Bahngelände sind. Und die Klimadiskussion bringt frischen Wind in die Idee.
Seit 2019 kursiert der EVG-Vorschlag eines „Multi-Hubs“ in Fachkreisen: Eine Anlage, die den Umschlag zwischen Schiene, Straße und Wasserstraße ermöglicht. Es gibt einen Zulauf von Straße und Schiene – und der Datteln-Hamm-Kanal liegt gleich nebenan. Die Fläche wird in diesem System durch Verladepunkte des Kombinierten Verkehrs erschlossen. Von dort werden die Sendungen auf der Schiene gesammelt und im Multi-Hub zur Zugbildung gebündelt. So kann ein Netzknoten geschaffen werden, der viele Mengen, die in der Fläche entstehen, bündelt, um eine große Zahl von Zielen wirtschaftlich zu erreichen, in ganz Deutschland und sogar europaweit.
Seit vielen Jahren schon gibt es bei den Güterbahnen die Idee, kombinierten Verkehr auch aus den noch vorhandenen Gleisanschlüssen bzw. “Kleinterminals“ anzubieten; die Umsetzung fehlte bislang. Hier könnte der Multi-Hub Abhilfe schaffen. Denn die Vorteile des Systems liegen auf der Hand:
- Die Verladetechnik des kombinierten Verkehrs kann sinnvoll auch dezentral genutzt werden.
- In Hamm wäre es erstmals möglich, das Terminal für den Kombinierten Verkehr mit dem Einzelwagensystem auf einem Gelände zu verbinden.
- Kommunen können ihren Wirtschaftsunternehmen Güterverkehr auf der Schiene mit einem nennenswerten Netzwerk (viele Destinationen) anbieten, auch wenn das eigene Aufkommen „nur“ einen Zug füllt.
- Es ist mit allen anderen konventionell betriebenen Terminals in Deutschland vollständig kompatibel. Denn im Endeffekt verlässt immer ein vollständiger KV-Zug das Multi-Hub und erreicht somit die anderen Terminals wie im „normalen“ Produktionssystem.
Auch wird darüber nachgedacht, eine Stahllogistikhalle zu errichten und ein Depot für die sogenannten m²-Wagen anzulegen – die neueste Generation von Güterwagen, die derzeit erprobt werden. Ebenso kann eine spezielle Einrichtung für die Verladung von Spezialgütern aufgebaut werden.
Bei der DB-Güterverkehrstochter und auch in der Politik kam die Idee gut an. Und im Oktober 2021 unterzeichneten die DB Cargo AG, das Land NRW, die Stadt Hamm und die EVG eine verbindliche Vereinbarung, ein so genanntes „Memorandum of Understanding“ (MoU). Darin heißt es u.a.: „Bahn, Stadt und Land wollen gemeinsam neue Maßstäbe für technische Entwicklungen im Logistiksektor setzen.“ Somit, so heißt es weiter im MoU, könnten bis zu 170.000 Lkw-Fahrten im Jahr vermieden werden. Unterstützung kam auch von Hermann Lanfer, Vorsitzender des Verwaltungsrates der Kombiverkehr GmbH & Co KG, eines bundesweiten Zusammenschlusses von Spediteuren. Er hat am Datteln-Hamm-Kanal gerade ein Güterterminal mit Schienenanschluss eingerichtet. Auch das Bundesverkehrsministerium steht hinter der Idee.
Nun geht es an die tatsächliche Umsetzung. Gerechnet wird mit Investitionen in Höhe von 350 Millionen Euro, um den Multi Hub bis 2028 fertigzustellen. „Die tatsächliche Umsetzung ist kein Selbstläufer und wird von uns aufmerksam verfolgt“, sagen Wilke und Hensel. „Wir haben die Blaupause geschrieben, jetzt sind andere dran.“
„Bei alledem haben wir uns von der Grundidee leiten lassen, dass ein Güterzug 52 Lkw ersetzt“, sagt Jörg Hensel und resümiert: „Es lohnt sich, sich vor Ort zu engagieren. Wenn man alles Know-How zusammenlegt, kann man etwas erreichen. Wir haben das Thema „Mehr Verkehr auf die Schiene“ einfach mal ernst genommen und wollen zeigen, wie es gehen kann.“