imtakt
Top Themen
Anmelden oder Registrieren

Interview Aktionen

Seminar gegen Stammtisch-Parolen: „Wir wollen Mut machen“

Es ist Beschlusslage in der EVG: Die Mitgliedschaft in der EVG und in der AfD schließen einander aus. Wie aber begegnen wir im Alltag rechtsextremen und rechtspopulistischen Parolen?

Damit befasste sich ein Seminar der Bundesseniorenleitung der EVG. Ein Angebot, das fortgeführt werden sollte, sagt Henning Lange. Der frühere Gewerkschaftssekretär und heutige Vorsitzende des Landesverbandes Senior*innen Sachsen-Anhalt hat das Seminar als Ko-Referent mitgestaltet.


Henning, gab es einen konkreten Anlass für die Bundesseniorenleitung, dieses Seminar anzubieten?
Wir wollen Aufklärungsarbeit leisten. Viele Kolleginnen und Kollegen tun sich schwer, mit solchen Parolen umzugehen, weil ihnen die Argumente fehlen. Wir wollten ihnen die Möglichkeit geben, das ganze Thema mal aufzuarbeiten, vor allem aber ihnen Mut machen, gegen Stammtischparolen vorzugehen können. Es passiert ja im täglichen Leben, dass man solche Sprüche hört, in der Straßenbahn, im Bus, es geht bis in die Familien hinein.

Was war deine Motivation, dich als Ko-Referent zur Verfügung zu stellen?
Ich beschäftige mich ziemlich lange sehr interessiert mit dem Thema Holocaust. Vor zwei Jahren habe ich an einem EVG-Seminar in Auschwitz teilgenommen, habe Israel besucht. Was mich persönlich daran aufregt, dass das Thema heute durch das Agieren der AfD wieder hochkommt, ist, dass immer mehr rote Linien überschritten werden. Es war vor ein paar Jahren noch unvorstellbar, dass jemand auf die Straße gegangen ist und sagen konnte: Wer Deutschland liebt, ist Antisemit. Das ist heute möglich, in dieser Bundesrepublik, und das tut so weh. Die ZDF-Journalistin Dunja Hayali hat es auf den Punkt gebracht: Populisten schüren Ängste, sie vergiften das Zusammenleben, und wenn wir nicht aufpassen, nehmen sie uns die Demokratie. Und deswegen musste man mich nicht motivieren.

Wie ist das Seminar verlaufen?
Der Referent Tobias Abt macht das schon lange, er hat gute Hintergrundinformationen mitgebracht. Populisten, Reichsbürger, was ist das eigentlich? Wir haben die Teilnehmenden nach ihren Erfahrungen befragt, nach ihren Erwartungen und nach ihrer Motivation, sich für das Seminar anzumelden. Und die größte Erwartung war immer wieder, Handlungshilfen zu bekommen. Aber wie man mit Stammtischparolen umgehen kann und sollte – das kann man nicht aufschreiben, man kann nur Mut machen. Und das haben wir dann in Rollenspielen erprobt. 

Wie würdest du die Teilnehmenden beschreiben? 
Das waren ganz normale Eisenbahnerinnen und Eisenbahner. Was mich ein bisschen traurig gemacht hat, dass niemand aus den neuen Bundesländern dabei war. Das hätte ich mir schon anders gewünscht vor dem Hintergrund 30 Jahre deutsche Einheit, Treuhand und den Verwerfungen, die jetzt zu den Wahlergebnissen der AfD geführt haben.

Gibt es denn eigentlich eine Art Rezept, wie man mit Stammtischparolen umgehen kann?
Ein pauschales Rezept gibt es nicht, weil das ja immer von der Situation abhängig ist. In der Familie muss man sicher sensibel damit umgehen. Aber man sollte ins Gespräch gehen, wenn jemand am Kaffeetisch Parolen raushaut. Wenn zum Beispiel jemand über Geflüchtete spricht, ihn auch fragen: Kennst du denn einen Geflüchteten, hast du mal mit einem gesprochen? Wie würdest du selbst dich verhalten, wenn du mit deiner Familie vor deinem zerbombten Haus stehst und ihr habt nichts mehr außer dem, was ihr am Leib habt?  Das Wichtigste ist, dass man sich mit diesen Dingen beschäftigen und Argumente haben muss. Es nützt nichts, in eine solche Auseinandersetzung zu gehen und keine Argumente zu haben. Dann steht man schnell blank da und die Gegenseite hat Oberwasser. Da haben auch unsere etablierten Parteien viel versäumt. Man sollte sich wirklich mal beim DGB auf der Homepage die Broschüre runterladen, in der das Wahlprogramm der AfD analysiert wird. Wir als Landesverband Senioren in Sachsen-Anhalt haben uns auch mal jemanden vom Flüchtlingsrat eingeladen. Wenn dann geschildert wird, wie der kleine Fischer vor der west-afrikanischen Küste keine einzige Sprotte mehr fängt, weil die großen Trawler aus den USA und Europa alles wegfangen, dann sieht man auch: Die westliche Welt hat eine große Verantwortung für die Flüchtlingsströme.


Das Wichtigste ist, dass man sich mit diesen Dingen beschäftigen und Argumente haben muss. Es nützt nichts, in eine solche Auseinandersetzung zu gehen und keine Argumente zu haben.

Henning Lange

Du hast Input für das Seminar gegeben - hast du für dich selbst auch etwas mitgenommen?
Ja selbstverständlich. Solche Rollenspiele macht man ja auch nicht täglich. Tobias hat einen Populisten gespielt, der in der Straßenbahn anfängt zu pöbeln, und ich sollte ihm mit Argumenten begegnen. Und da merkt man doch, dass es eine gute Erfahrung ist, sowas mal zu probieren. 

Siehst du weiteren Handlungsbedarf bei der EVG?
Ich plädiere unbedingt dafür, dieses Thema weiter zu beackern. Das Thema wird uns noch eine Weile begleiten und ich denke, es ist wichtig, dass wir als Organisation unseren Mitgliedern was an die Hand geben. Es sollte auch ein Tagesordnungspunkt in allen Veranstaltungen der EVG sein, und sei es nur ein, zwei Stunden; aber so, dass es immer präsent ist.