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Corona-Mosaik: Leben in der Pandemie

Seit einem halben Jahr leben wir mittlerweile mit der Corona-Pandemie. Wie hat sich unser Leben, unser Arbeitsalltag durch sie verändert? Wir haben uns in verschiedenen Bereichen umgeschaut. Unser Mosaik zeigt: Die Pandemie und der vorübergehende Lockdown haben auch im Organisationsgebiet der EVG ihre eigenen Geschichten produziert.

Abstand im überfüllten DoSto? Dieser Sommer ist anders. Weil Fernreisen abgesagt sind, verbringen viele Menschen ihre Ferien in Deutschland. Die Zahl der Fahrgäste hat während der Urlaubswochen daher auch wieder deutlich zugenommen. Während die Reisendenströme im Fernverkehr durch die Buchungssysteme gesteuert werden können, gibt es diese Möglichkeit im SPNV nicht. „Da ist ein Zug an die Ostsee mit fünf Doppelstockwagen schon mal mit bis zu 600 Fahrgästen belegt. Viele sind mit Fahrrädern unterwegs. Da kommen selbst wir als KiN kaum durch. Das Abstandsgebot ist hier überhaupt nicht einzuhalten“, sagt Katrin Kovacs, Sprecherin der Zentralen Fachgruppe KiN der EVG. 

Neben dem Abstandsgebot ist auch das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung (MNB) ein Hauptinstrument im Kampf gegen Corona. In öffentlichen Verkehrsmitteln ist eine MNB für Kunden und Beschäftigte vorgeschrieben. Doch bei der Durchsetzung der Maskenpflicht stoßen die Kolleginnen und Kollegen immer öfter auf taube Ohren. „Die Aggressivität hat zugenommen, wenn wir auf die Maskenpflicht hinweisen“, sagt Katrin, „auch die Ignoranz und Respektlosigkeit insgesamt uns gegenüber.“ Für die EVG ist klar, dass die Beschäftigten mit der Aufgabe, die Maskenpflicht in den Verkehrsmitteln durchzusetzen, nicht alleine gelassen werden dürfen. Unangekündigte Kontrollen durch die Bundespolizei könnten unsere Kolleg*innen unterstützen. Die Forderung der Zentralen Fachgruppe: grundsätzlich eine Doppelbesetzung der Züge mit KiN, „denn zu zweit haben wir vielleicht etwas mehr Möglichkeiten.“ Von zunehmender Respektlosigkeit sind übrigens nicht nur die Kolleginnen und Kollegen im Zugbegleitdient betroffen. „Ein Kunde kam mit Maske ins Reisezentrum zu meinem Schalter und setzte diese ab“, berichtet uns eine Kollegin von DB Vertrieb, die in einem Reisezentrum in Berlin arbeitet. „Nachdem ich ihn gebeten hatte, diese wieder aufzusetzen, wurde er laut und sagte zu mir: Ach halt doch die Fresse!“ Aufgrund des Abstandsgebots darf stets nur eine begrenzte Personenzahl in den Reisezentren anwesend sein.

Schon den Hinweis darauf empfanden aber viele Kunden als Provokation. Der zunehmende Stress durch Maskenpflicht und genervte Kunden setzt manchen Beschäftigten zu. „Eine Übergriffs-Anzeige mache ich auf jeden Fall“, sagt uns eine weitere Kollegin nach entsprechenden Erfahrungen. „Ich bin traurig darüber, weil ich meinen Job eigentlich sehr gerne mache. Aber ich halte durch, versprochen.“


Mitbestimmung digital 

Die Kontaktbeschränkungen zwingen auch die Mitbestimmungsorgane, neue Wege einzuschlagen. Fast überall greifen die Betriebsräte auf Online-Formate zurück - eine besondere Herausforderung in bundesweiten Wahlbetrieben wie der der DB Zeitarbeit. Dass das dennoch funktioniert, haben die Kolleginnen und Kollegen bewiesen: Im Juni fanden insgesamt zehn dieser virtuellen Zusammenkünfte statt, mit insgesamt über 500 Teilnehmenden. „Auch und gerade in Corona-Zeiten ist eine umfassende Information und der Austausch über die Arbeitsbedingungen sehr wichtig“, sagt der Betriebsratsvorsitzende von DB Zeitarbeit, Dietmar Demke. 

Der Probelauf, eine Online-Sprechstunde des Betriebsrates Mitte Mai, erreichte bereits fast 200 Kolleginnen und Kollegen. Für die Online-Versammlungen wurden ein Morgen- und ein Nachmittagstermin angeboten, um den unterschiedlichen Arbeits- und Schichtzeiten Rechnung zu tragen. Die Anmeldungen und auch das Feedback der Teilnehmenden zeigten eine hohe Zustimmung zu dem Format. „Trotzdem ist für uns klar, dass Online-Formate den direkten Austausch nicht ersetzen können“, sagt Dietmar Demke. „Gerade unter Pandemie-Bedingungen darf der Kontakt zu den Kolleginnen und Kollegen nicht abreißen, damit uns ihre Sorgen und Nöte erreichen und wir handlungsfähig bleiben.“ Für die Zeit nach Corona könnten Online-Formate aber ein geeignetes zusätzliches Mittel sein, um die Kolleginnen und Kollegen umfassender zu informieren.

Hat der BR-Vorsitzende von DB Zeitarbeit einen Tipp? „Eine minutiöse Planung der Veranstaltungen mit einem abwechslungsreichen Programm, das die Themen der Kolleginnen und Kollegen aufgreift. Und ein bisschen Mut ist auch vonnöten, diesen Schritt in die digitale Welt zu gehen.“ Besonders erfreulich: Dietmar und sein Team konnten durch dieses Format auch Kolleginnen und Kollegen von der Mitgliedschaft in der EVG überzeugen. 


Corona-Schichtplanung: Aus drei mach sieben Auch der Arbeitsalltag in den Werken der Fahrzeuginstandhaltung beugt sich der Pandemie, ergibt sich ihr aber nicht. Vielmehr wird agiert, statt reagiert. Primär steht dabei die Gesundheit der Beschäftigten auf der Tagesordnung, einhergehend auch das Funktionieren des Betriebes. Wie geht das in solch einem Betrieb wie z.B. Paderborn? Durch ein Entzerren der Schichten von drei auf sieben. Dabei wurden die Früh-, Spät- und Nachtschichten in mehrere Sequenzen geteilt und leicht versetzt begonnen, bzw. beendet. In den zeitlichen Leerräumen, in denen sich die Kolleginnen und Kollegen weniger begegneten, soll das Risiko einer möglichen Ansteckung dadurch reduziert werden. „Bis jetzt hat sich bis jetzt das System bewährt“, sagt Klaus Koch vom Gesamtbetriebsbrat FZI DB AG. „Alle Kolleginnen und Kollegen haben es als Notwendigkeit angenommen“. Auch in anderen Werken seien Arbeitszeiten verlagert worden, so Klaus Koch, die aber bereits je nach „Corona-Lage“ des jeweiligen Bundeslandes wieder rückgängig gemacht wurden. „Mit Überschwappen der Pandemie nach Deutschland und somit auch in unser Organisationsgebiet, waren wir allesamt vor neue Aufgaben gestellt“, sagt Koch weiter. Aus seiner Sicht wurden die Herausforderungen des „neuen Alltags flexibel und weitestgehend einvernehmlich zwischen Betriebsräten, EVG und Arbeitgebern gemeistert. Themen, die sich über die Jahre als Ist-Zustand in unsere gesellschaftlichen Abläufe eingebrannt haben, sollten jedoch neu überdacht werden, sagt Koch kritisch. Mit seinem erfahrenen „Werkstattblick“ nennt er Beispiele wie „Arbeitszeit“, „Arbeitsplatzdichte“ oder auch „Arbeitsbedingungen“ bei extrem körperlich schweren Tätigkeiten. Auf die stärkste Erkenntnis aus dieser Coronawelle gefragt, die man für eventuell aufkommende, ähnliche Situationen mitnehmen könnte sagt der Gesamt-BR-Vorsitzende. „Wir sind auf jeden Fall vorbereiteter.“

Umdenken im Umweltlabor
In Kirchmöser, Ortsteil von Brandenburg an der Havel, befindet sich das Umweltlabor der DB AG. Wo sonst Schotterproben analysiert, Klimaanlagen und ICE-Wassertanks auf Bakterien untersucht werden, hatte die Coronakrise ein abruptes Umdenken verlangt. Um sich von erneuten Versorgungsengpässen unabhängig zu machen, wurde kurzerhand Hand-Desinfektion entwickelt und täglich rund 1000 Liter produziert. Weitere 600 Liter kamen aus dem Labor der DB Systemtechnik in München. „Die Kolleginnen und Kollegen haben sich unheimlich ins Zeug gelegt“, so Heike Kiesche, EVG-Betriebsrätin DB E&C, Region Ost. Die Produktion wurde ausgesetzt. Der Bedarf für die DB-Mitarbeiter*innen in Zügen, auf Bahnhöfen und anderen Einrichtungen war bald abgedeckt, „jetzt sind die Läger randvoll“, so Heike. Für die Mitarbeitenden stellten die gut drei Monate Zusatzaufgaben eine enorme Mehrbelastung dar; sogar ein Extra-Schichtsystem wurde eingeführt, damit das Alltagsgeschäft nicht auf der Strecke bleibt. „Allerdings mussten wir als Interessenvertreter Nachbesserungen beim Arbeitgeber einfordern“, sagt Heike Kiesche. „Danach lief es rund“. Neben den bis zu 37.000 Boden- oder Wasserproben jährlich stellt sich Kirchmöser der nächsten Herausforderung. Jetzt kümmert sich das Labor um die Coronatests, die Konzernbeschäftigte freiwillig abgeben können. Keine Angst, so Heike: Die Tests landen dort anonym, ein externer Dienstleister übermittelt die Auswertung dem Betreffenden dann persönlich. „Wir achten streng darauf, dass die Meldekette eingehalten wird und mögliche Infizierte keinerlei Nachteile dadurch erleiden.“ 

Home-Office und Kinderbetreuung?
Kindererziehung, Pflege von Angehörigen, generell Familienpflichten - das bleibt auch heute noch oftmals bei den Frauen hängen. „Plötzlich standen wir vor vielen zu lösenden Fragestellungen“, sagt Vera Argauer, Mitglied der Bundesfrauenleitung der EVG. „Sei es Absage von Arbeit, Kurzarbeit, Infektionsschutz-Maßnahmen und Gestaltung von Homeoffice, wie kann unter diesen Bedingungen die Vereinbarkeit unterstützt werden und vieles, vieles mehr. Plötzlich war das Thema Digitalisierung unausweichlich.“ Schulen, Kindergärten und Pflegeeinrichtungen waren und sind zum Teil bis heute geschlossen. Die EVG hat sehr schnell reagiert und erst 15, dann insgesamt 20 Tage bezahlte Freistellung erreicht. Allerdings saß auch hier der Teufel im Detail. „Sehr oft“, sagt Vera, „mussten wir uns mit dem Unverständnis von Führungskräften bei der Bahn auseinandersetzen, die nicht begriffen haben, dass Homeoffice und Kinderbetreuung meist unvereinbar sind.“ Für die engagierte EVG-Frau haben die besonderen Arbeitsbedingungen in der Pandemie eine Fülle an ungeklärten Fragen aufgeworfen, die Interessenvertreter*innen und Arbeitgeber nur gemeinsam lösen konnten und können. „Hierzu werden wir mit unserer besonderen Sichtweise als EVG Frauen unsere gewerkschaftlichen Möglichkeiten zur Mitgestaltung in verstärktem Maß einbringen.“

Von der Polsterwerkstatt zur Maskenwerkstatt
Uwe Thäger hat die genaue Zahl im Kopf: 11.596. So viele Mund-Nasen-Schutzmasken wurden zwischen April und Juni im Werk Wittenberge der DB Fahrzeuginstandhaltung genäht. In dem traditionsreichen Werk im Nordwesten Brandenburgs werden für gewöhnlich Reisezugwagen und Radsätze bearbeitet.

Hier werden aber auch Polster für die Reisezüge aufbereitet. Und als zu Beginn der Corona-Krise massiver Mangel an Mund-Nasen-Schutzmasken herrschte, da war für Werksleitung und Betriebsrat in Wittenberge sofort klar: die Polsterwerkstatt wird zur Maskenwerkstatt.

„Wir haben die Maschinen, wir haben die Stoffe, wir haben Kolleginnen, die sofort Lust auf die Arbeit hatten“, sagt der Betriebsratsvorsitzende Uwe Thäger. Zwei weibliche Auszubildende nähten zunächst 200, dann 500 Masken pro Schicht. „Es ging zunächst mal darum, unsere eigenen Leute auszustatten. Unsere Kollegen hier arbeiten in den Wagons auf engstem Raum zusammen, Abstand halten ist da kaum möglich.“ Jeder der 800 Beschäftigten im Werk bekam jeweils sechs Masken - mit der Möglichkeit, weitere nachzuordern. Aus dem sich beharrlich füllenden Materiallager wurden nach und nach auch die Beschäftigten in den anderen Werken der FZI ausgestattet.

„Für den Betriebsrat war das vollkommen in Ordnung, auch die beiden Kolleginnen haben das gerne gemacht.“ Die Nähmaschinen ratterten im Zwei-Schicht-Betrieb, bis der Markt gesättigt war und genug Mund-Nasen-Bedeckungen anderer Anbieter zur Verfügung standen.

Auch sonst brachte Corona beträchtliche Veränderungen für den Alltag in Wittenberge mit sich. Wo Früh- und Spätschicht sich sonst um 18 Minuten überschneiden, wurden die Schichten jetzt so entzerrt, dass eine Stunde Puffer entsteht. „So können wir die Begegnungen zwischen den Kollegen reduzieren und haben genug Zeit, um die Waschräume zu desinfizieren.“

Insgesamt, sagt der Betriebsratsvorsitzende, ist der Betrieb bisher gut durch die Krise gekommen. Die geringere Nutzung der Züge wirkte sich darin aus, dass weniger Komponenten zu Reparatur und Aufbereitung geliefert wurden, generell aber war Arbeit genug da. „Wir hatten eine Vereinbarung zur Kurzarbeit fertig in der Schublade, brauchten sie aber nicht.“