Gedenkstättenfahrt: Auf den Spuren des Holocausts
Vor 75 Jahren endeten der zweite Weltkrieg und die nationalsozialistische Gewaltherrschaft. 18 EVG-Mitglieder zwischen 26 und 67 Jahren und zwei Referenten machten sich aus diesem Anlass auf die Reise von unserer Bildungsgesellschaft EVA, um die Spuren des Holocausts zu verfolgen. Wir haben Teilnehmende gebeten, ihre Eindrücke für uns aufzuschreiben.
11. September: Ankunft. Unsere Reise beginnt im Bildungs- und Begegnungszentrum „Clara Sahlberg“ in Berlin-Wannsee. Natürlich wollen wir erst wissen, mit wem wir die kommende Woche verbringen. Es stellt sich heraus, dass wir eine buntgemischte Gruppe aus unterschiedlichen Geschäftsbereichen und verschiedenen Teilen des Landes sind.
12. September: Berlin-Wannsee. Um direkt in die Vergangenheit einzutauchen, starten wir mit dem Thema, wie es zur Machtübernahme der Nationalsozialisten kommen und wie es ihnen gelingen konnte, ihre Vision der Vernichtung aller „Juden in Europa“ umzusetzen. Danach machen wir eine Exkursion zum „Haus der Wannseekonferenz“, wo die „Endlösung der Judenfrage“ beschlossen wurde.
13. September: Berlin – Lodz. Am folgenden Tag brechen wir zum Mahnmal „Gleis 17“ am Bahnhof Berlin-Grunewald auf. Hier fuhr am 18.10.1941 der erste Deportationszug der Deutschen Reichsbahn Richtung Osten ab. Die Deutsche Bahn AG errichtete 1998 das Mahnmal. Deutlich können wir die Vegetation zwischen den Gleisen sehen, sie ist ein Symbol dafür, dass hier nie wieder ein Zug rollen wird.
Anschließend machen wir uns mit der Bahn auf den Weg nach Lodz. Spätabends kommen wir an und übernachten in einem jüdischen Gasthaus.
14. September: Lodz. Wir fahren durch das ehemalige „Ghetto Litzmannstadt“. Das war von 1939-1944 ein Sammellager. Es diente vor allem als Zwischenstation vor der Deportation in die deutschen Vernichtungslager, nicht zuletzt Kulmhof (Chelmno) und Auschwitz II.
Unser erster Stopp ist der „Neue jüdische Friedhof“, ein Teil des Ghettos und heute der zweitgrößte jüdische Friedhof in Europa. Hier sind etwa 43.000 Opfer des Ghettos beerdigt. Unter anderem steht hier auch das Mausoleum des Fabrikanten Izrael Poznanski. Der nächste Halt ist das „Denkmal an das Martyrium der Kinder“- auch genannt „Denkmal des Gebrochenen Herzens“. Es zeigt einen Block, der aussieht wie ein gebrochenes Herz mit einem abgemagerten Kind. In der Mitte befindet sich ein leerer Raum, der einen kleinen menschlichen Körper darstellen soll. In der Nähe ist außerdem eine Gedenktafel mit der polnischen Inschrift „Dein Leben wurde weggenommen, heute geben wir Dir nur die Erinnerung.“ in den Boden eingelassen. Im Ghetto Litzmannstadt befand sich das Jugendverwahrlager, wo Kinder von 2-16 Jahren inhaftiert wurden und Zwangsarbeit verrichten mussten.
Danach fahren wir zum „Marek Edelman Dialogue Center“, einer modernen Institution, die sich mit der Erinnerung, der Geschichte und der Identität der Stadt Lodz befasst. Im oberen Teil des Zentrums ist eine Ausstellung zu Marek Edelman, einem Kommandeur des Warschauer Ghettoaufstands.
Um unsere Informationen über die Stadt zu vervollständigen, sehen wir uns noch die „Manufaktura“ an, im 19. Jahrhundert eine der größten Textilfabriken weltweit. Die Fabrik war viele Jahre im Besitz der Familie Poznanski. Heute ist es das größte Einkaufszentrum Polens.
15. September: Lodz – Chelmno – Oswiecim. Erste Station ist der Bahnhof Radegast. Zuerst wurde der Bahnhof zur Versorgung des Ghettos und zum Abtransport von Gütern genutzt, die im Ghetto hergestellt wurden. Ab 1941 wurde er auch zur Beförderung von Menschen zweckentfremdet. Heute ist der ehemalige Bahnhof eine Holocaust Gedenkstätte. Hier ist ein Denkmal in Form eines Krematoriums zu sehen mit der Inschrift „Du sollst nicht töten“. Zum Bahnhofsgelände führt ein 140 Meter langer „Tunnel der Deportierten“, wo an den Wänden die Listen der Menschen hängen, die von hier aus deportiert wurden. Im Bahnhof steht ein originaler Zug der Deutschen Reichsbahn mit drei Waggons, wovon einer zugänglich ist. Ganz am Ende des Geländes erinnern sechs große Grabsteine mit den Namen der Vernichtungslager an die Opfer des Holocausts.
Zweite Station ist Chelmno nad Nerem (dt. Vernichtungslager Kulmhof an der Ner). Die Geschichte dieses Lagers ist besonders tragisch. Es war die erste Mordfabrik der Nazis. Hier probierten sie ihre Mordmethoden aus. Sie starteten vor Ort mit dem Prototyp der Gaskammer, in Form von LKWs, deren Abgase sie ins Innere leiteten. Die Zahl der geschätzten Opfer, die hier ums Leben gekommen sind, beträgt ca. 200.000, darunter auch die Kinder- und Jugendlichen aus dem Ghetto Litzmannstadt. Nur drei der Leidtragenden konnten diesen schrecklichen Ort und den Zweiten Weltkrieg überleben. Die Leichen wurden ein paar Kilometer weiter in das „Waldlager“ gebracht, wo sich die Massengräber befinden, welche wir ebenfalls besichtigen.
„Es ist ein anderes Gefühl vor Ort zu sein, als Berichte und Bilder zu sehen oder Texte zu lesen.“
16. September: Oswiecim. Am letzten Ort unserer Reise in die Vergangenheit widmen wir uns zuerst dem Euthanasieprogramm der Nazis. Wir analysieren Texte zu Aktion T4, um zu verstehen, dass in der NS Zeit zuerst mehr als 70.000 Menschen aus ihrem eigenen Volk mit geistigen, körperlichen und seelischen Behinderungen systematisch ermordet worden sind. Anschließend machen wir uns auf den Weg zum Konzentrationslager Auschwitz. Hier haben wir eine Touristenführerin, die uns durch das Stammlager Auschwitz I führt und uns detailreich erklärt, wie das Vorgehen und der Umgang mit den dort „Lebenden“ damals war. Deutlich ist die gedrückte Stimmung innerhalb der Gruppe zu spüren. Es ist ein anderes Gefühl vor Ort zu sein, als Berichte und Bilder zu sehen oder Texte zu lesen.
17. September: Oswiecim. Im Aufbau auf den vorherigen Tag gehen wir in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, auch Auschwitz II genannt. Hier nahm die Unmenschlichkeit der Nazis neue Gestalt an. Das Lager war 36-Mal größer als das Stammlager. An den Ruinen der Gaskammer wurde ein Denkmal mit Erinnerungstafeln in verschiedenen Sprachen errichtet. Anschließend gehen wir noch zur „Alten Judenrampe“ und beenden dort unsere Reise mental mit einer Schweigeminute für alle Opfer des Holocausts – hier endet die Spur vieler Menschen. Wir nutzen den Tag noch, um zu reflektieren, was das überhaupt mit uns heute zu tun hat und welche Beispiele es zu Rassismus in der heutigen Zeit gibt.
18. September: Abreise. Wir alle sind zu dem Schluss gekommen, dass es wichtig ist, sich mit der Geschichte auseinander zu setzen, sich daran zu erinnern und andere darauf aufmerksam zu machen, damit es nie wieder passiert.