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Bildung Familie und Frauen

Ravensbrück-Seminar: „Ich wäre zur Kämpferin geworden“

Bereits seit Jahren richtet die EVG zusammen mit der EVA-Akademie Gedenkstättenfahrten aus. Ziel ist es, zu informieren, aufzuklären, zu mahnen und vor allem den vielen Opfern von damals zu gedenken. Wir haben drei Kolleginnen in die Gedenkstätte Ravensbrück begleitet. 

Insgesamt acht EVG-Frauen machten sich Mitte September in Richtung Fürstenberg/ Havel (Brandenburg) auf. Das Thema war klar, ihre Ansprüche an diese Reise auch; nicht aber die Wucht der Emotionen, die sie getroffen hatte. „Geschichtsunterricht ist das eine. Geschichte erleben das Andere“, sagt Petra Schneider, eine der Teilnehmerinnen. In ihrer Familienvergangenheit hat die Zugbegleiterin Berührungspunkte zum damaligen Kriegsgeschehen. Ihr Großvater und ihr Schwiegervater wurden in die Wehrmacht eingezogen und kamen in Kriegsgefangenschaft. „Geredet wurde darüber nie“, sagt sie. Wenn sie gefragt habe, um mehr von den Männern über diese Zeit zu erfahren, hatte es keine ergiebigen Aussagen gegeben. „Scham, Schuld oder schreckliche Erinnerungen?“ fragt Petra.     

Das einwöchige Seminar im September bestand aus verschiedenen Elementen. Museumsrundgänge, Vorträge und Diskussionen, Rundgänge durch das so genannte Führerhaus der KZ-Leitung, durch die Häuser der Wärterinnen, ein Besuch des früheren Jugend-KZ Uckermark und Filmvorführungen mit Erzählungen von Zeitzeugen. „Die Intensität der Informationen über diese Zeit, aber auch die authentische Wiedergabe der Geschehnisse in Ravensbrück hatten mich seelisch umgehauen“, sagt Angela Raithel; ebenfalls eine der Teilnehmerinnen. Die vielen Informationen hätten sie nicht nur sehr nachdenklich gemacht, sondern auch wütend auf die Verantwortlichen von damals, dass sie nur einen Gedanken hatte. „Ich hätte mich dem Widerstand angeschlossen; ich hätte mein Leben riskiert“!  

Organisiert hatte die Seminarfahrt die Vorsitzende der EVG-Bundesfrauenleitung Erika Albers, die ebenfalls dabei war. Mit der Erfahrung aus vorangegangenen Fahrten hatte sie die acht geschichtsinteressierten Frauen behutsam auf die Woche vorbereitet und vor Ort betreut. Hier und da war sie auch bereit, die Teilnehmenden seelisch aufzufangen, wenn sich ihre Gefühle in Form von Wut, Unverständnis oder Trauer nicht mehr steuern ließen.


„Es haut einen um“
Petra Charwat, die ebenfalls an der Seminarwoche teilnahm, erschlossen sich so manche Informationslücken. Ihr Wissen aus der DDR-Zeit wollte sie unbedingt in dieser Seminarwoche intensivieren. Ihr war es wichtig, die NS-Zeit ohne jegliche politische Einfärbung im Nachgang für sich aufarbeiten zu können.    

Das Lager Ravensbrück sollte als so genanntes Schutzhaftlager für Frauen dienen, die aus der Gesellschaft „entfernt“ werden sollten. Zuständig für die inhaftierten Insassinnen waren vor allem weibliche Aufseherinnen. Mehr als 3500 Frauen wurden zu Wärterinnen ausgebildet, die meisten kaum älter als 20 Jahre. Das sogenannte SS-Gefolge (Frauen im Zivildienst der SS), war dann geschult, Opfer zu bewachen, zu quälen und zu töten. Sie wurden zum Dienst verpflichtet oder hatten sich freiwillig gemeldet.

„Ich konnte die ganze Woche nicht schlafen. Die vielen verübten Grausamkeiten kamen immer wieder hoch“, sagt Petra Charwat. „Es haut einen um; es verfolgt mich immer noch“, beschreibt sie ihre Gefühle. So erging es auch den beiden anderen mitgereisten Kolleginnen der Gruppe, Petra Schneider und Angela Raithel. Dazu kommen so viele Fragen, die sie nicht loslassen: Was waren das für Frauen? Was hat sie dazu bewogen, an diesem Wahnsinn teilzunehmen?

„Hier haben Frauen ihresgleichen kontrolliert, erniedrigt, drangsaliert, entwürdigt. Die gesamte Szenerie in Ravensbrück vermittelt so viel Kaltblütigkeit“, sagt Angela. Alle weiblichen KZ-Aufseherinnen hätten vor ihrem ersten Arbeitstag gewusst, worauf sie sich einließen. Waren sie Überzeugungstäterinnen, Mitläuferinnen oder machtbesessene Systemfanatikerinnen? So viele Fragen ohne Antworten.      
Obwohl Ravensbrück nicht als Vernichtungslager angelegt war, wurden hier 

40 000 bis 50 000 Frauen ermordet: erschossen im Wald, erstickt in der Gaskammer, zu Tode geprügelt, erfroren; verhungert, an Erschöpfung, Typhus oder Ruhr zugrunde gegangen, für medizinische Experimente verstümmelt oder mit Wundbrand infiziert, mit Benzin tot gespritzt.

Nicht nachlassen zu mahnen
„Jeder, der heute die braune Ideologie vertritt, verherrlicht oder verharmlost, weiß nicht was er tut“, sind sich die drei Frauen einig. Wir müssten vielmehr dafür dankbar sein, in solchen friedlichen Zeiten leben zu dürfen, resümieren sie. In ihrem Alltag machen die drei Zugbegleiterinnen immer wieder leidvolle Erfahrungen mit Fahrgästen, die sich offenbar leichtfertig des Repertoires dieser Zeit bedienen. So würden die drei Frauen und ihre Kolleg*innen nicht selten als „Nazi“ beschimpft. „Diese Menschen wissen nicht, was sie sagen“, so Angela Raithel. Sie hätten sich wahrscheinlich nie mit dem Leid der Betroffenen noch mit den unsagbaren Grausamkeiten der Täter auseinandergesetzt. „Solche Äußerungen schmerzen sehr“, sagt Angela. Zumal die Zugbegleiterinnen sich dann wegen einer Ticketkontrolle oder nach dem Hinweis auf die fehlende Maske mit den Mördern von damals vergleichen sehen.

Unsere heutige Generation verantwortet nicht, was damals geschehen ist. Aber wir verantworten den Umgang mit dem Geschehenen – und zwar mit Respekt, Anstand und in ehrenvollem Gedenken an die Opfer. Für uns als EVG ist die Wahrung und Durchsetzung der Menschenrechte weltweit eine der tragenden Säulen unseres gewerkschaftlichen Selbstverständnisses. Genauso stellen wir uns gegen faschistische, rassistische, antisemitische, religiös-radikale und gewaltverherrlichende Ideologien. 

Es ist jetzt 75 Jahre her, dass in Berlin der schrecklichste aller Kriege endete; dort wo er sechs Jahre zuvor ausgelöst wurde. Im April 1945 wurde das Konzentrationslager Ravensbrück von den Alliierten befreit. Für Zehntausende war es die Rettung vor dem Tod. Noch immer bewegen die Erfahrungen aus Ravensbrück die drei Zugbegleiterinnen nachhaltig. Auf die Frage nach ihrer eindrücklichsten Erkenntnis aus den fünf Tagen: „Wir dürfen nicht nachlassen, wachzurütteln und zu mahnen. Das darf nie wieder passieren!“