DGB: „Wir Gewerkschaften sind eine unverzichtbare Kraft in diesem Land“
Unsere Art zu wirtschaften, unsere Art zusammenzuleben, ändert sich derzeit tiefgreifend. Der Klimawandel und die Digitalisierung zwingen dazu, die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine tun ein Übriges. Dieser Wandel muss sozial und ökologisch ausgestaltet werden. Von wem, wenn nicht von uns, den DGB-Gewerkschaften?
Das Thema der sozial-ökologischen Transformation zog sich wie ein roter Faden durch den 22. Ordentlichen Bundeskongress des DGB Mitte Mai in Berlin. „Wir sind ein DGB - und wir bestimmen die Zukunft“, so die neue DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi zum Abschluss des „Parlamentes der Arbeit“. „Wir Gewerkschaften sind eine unverzichtbare Kraft in diesem Land.“
Diese Zukunftsgestaltung hat viele Aspekte – einer von ihnen ist die Verkehrswende. Die EVG hatte im Vorfeld die für uns wichtigen Punkte in dem entsprechenden Leitantrag des DGB-Bundesvorstandes platziert und unsere Rednerinnen und Redner unterstrichen diese auf dem Kongress.
Für eine erfolgreiche Transformation braucht es eine gute öffentliche Infrastruktur, so EVG-Vize Martin Burkert. „Hier sind massive staatliche Investitionen notwendig, auch in die Schiene. Denn die Schiene ist sicher, schnell und klimafreundlich. Ein Güterzug ersetzt 52 Lkw! Und wenn wir den Anteil der Schiene am Güterverkehr um einen Prozentpunkt steigern, dann spart das 640.000 Tonnen CO2 – das wäre eine ökologische Verkehrswende.“ Auch in den ÖPNV müsse der Staat mehr investieren. „Denn ob zukünftig mehr Menschen das Auto stehen lassen und auf Bahn und Bus umsteigen, darüber entscheidet ein gutes flächendeckendes Angebot.“
Auch EVG-Vorstandsmitglied Cosima Ingenschay betonte, wie wichtig es ist, die Finanzierung der Schieneninfrastruktur voranzutreiben. Wenn die Zahl der Fahrgäste auf der Schiene verdoppelt und die Gütermengen deutlich gesteigert werden sollen, „dann müssen die Investitionen in den Aus- und Neubau jetzt massiv hochgefahren werden. Auf mindestens 3 Milliarden Euro pro Jahr – doppelt so viel wie jetzt – damit das Aussicht auf Erfolg hat.“ Der Investitionsstau in der Schieneninfrastruktur sei riesig. „Wenn die Schiene wieder zum Rückgrat unseres Verkehrssystems werden soll, müssen Strecken reaktiviert und elektrifiziert werden, Bahnhöfe saniert werden, Strecken und Fahrzeuge müssen digitalisiert werden.“
Milliarden Euro, so Cosima, würden in Neubauprojekte gesteckt, die keinen Beitrag zur Verkehrswende und zum Klimaschutz leisten, aber auch in klimaschädliche Subventionen. „Die sind nicht nur verkehrspolitisch kontraproduktiv, sondern auch unsozial.“ Sie forderte auch, die Wettbewerbsbedingungen für den Verkehrsträger Schiene gerechter zu gestalten.
Der fünftägige Kongress hatte aber noch weitere Highlights:
Eine neue Ära. Mit Yasmin Fahimi steht nach 73 Jahren erstmals eine Frau an der Spitze des DGB. Mit 92,3 % fiel das Votum der Delegierten überzeugend aus. Zu Yasmins Stellvertreterin wurde Elke Hannack wiedergewählt. Weitere Mitglieder des Geschäftsführenden DGB-Vorstandes sind Anja Piel und Stefan Körzell. In ihrem Grundsatzreferat bekräftigte Yasmin, dass die Gewerkschaften gerade in Zeiten fundamentaler Veränderungen und Krisen gebraucht werden: als Lotsen für eine gute Gesellschaft und Gestalter der Arbeitswelt. „Wir werden dafür sorgen, dass es auch in der Transformation gerecht zugeht und der soziale Frieden gesichert bleibt.“ Die Transformation „wird nur mit den Beschäftigten und ihrer Kompetenz gelingen und nicht gegen sie.“ Deswegen müsse neben der betrieblichen auch die Unternehmensmitbestimmung gestärkt werden. „Unternehmen sind keine konstitutionelle Monarchie. Erst die Mitbestimmung macht sie zum Teil der Demokratie.“ Notwendig seien außerdem mehr Gemeinwohlorientierung, eine funktionierende Daseinsvorsorge und mehr Verteilungsgerechtigkeit: Erlöse aus Vermögen und Spekulationen müssten stärker für das Gemeinwohl herangezogen werden. Unser Gerechtigkeitsempfinden werde beleidigt, „wenn die zehn reichsten Deutschen ihr Vermögen während der Pandemie noch einmal um 100 Milliarden Euro vergrößern konnten.“
Abschiede: Acht Jahre hat Rainer Hoffmann den DGB als Vorsitzender geführt, jetzt wurde er in den Ruhestand verabschiedet. Rainers acht Jahre an der Spitze des DGB seien „eine gute Zeit für die Gewerkschaften“ gewesen, so IGBCE-Chef Michael Vassiliadis in seiner Laudatio. Die DGB-Gewerkschaften seien heute so geeint wie selten in der Nachkriegsgeschichte und seien ein einflussreicher Faktor in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Ebenfalls verabschiedet wurde, nach 14 Jahren im DGB-Vorstand, Annelie Buntenbach.
Klare Worte für die Mitbestimmung. Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz als auch Arbeitsminister Hubertus Heil bekräftigten zwei Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag: Stärkung der Tarifbindung und der Mitbestimmung. Ein Instrument dafür ist ein Bundestariftreuegesetz, „mit dem wir Vergabe öffentlicher Aufträge daran knüpfen, dass die Tarifverträge der jeweiligen Branche angewendet werden“, so Olaf Scholz. Auch wolle die Bundesregierung 50 Jahre nach der letzten Novelle des Betriebsverfassungsgesetzes die betriebliche Mitbestimmung ausbauen: so soll z. B. der digitale Zugang der Gewerkschaften in die Betriebe gesichert werden. „Und wir werden härter gegen diejenigen vorgehen, die die Gründung von Betriebsräten behindern. Solche Machenschaften werden wir als Offizialdelikt einstufen, das die Justiz verfolgen muss.“
Emotion pur. Eröffnet wurde der Kongress am 8. Mai, 77 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Doch in diesem Jahr wurde dieser Tag vom Krieg in der Ukraine überschattet. „Der 8. Mai ist und bleibt für uns ein Tag des Friedens“, so der scheidende DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann. „Ein sofortiger Waffenstillstand ist die Forderung aller Gewerkschaften heute an Putin, hier in Deutschland und in aller Welt." Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nannte den russischen Überfall auf die Ukraine einen „Epochenbruch“. Europa befinde sich dadurch in einer „neuen gefährlichen Situation“. „Nationalismus, Völkerhass und imperialer Wahn dürfen nicht die Zukunft Europas bestimmen, das müssen wir verhindern.“ Schon jetzt, so der Bundespräsident, bekommen auch in Deutschland viele Menschen bereits die Folgen des Krieges zu spüren. Wie diese Lasten bewältigt und gerecht verteilt werden, sei eine entscheidende Frage in der nächsten Zukunft und hier komme es auch besonders auf den DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften an.
Die Thematik zog sich auch durch die Eröffnungszeremonie. Friedens- und Arbeiterlieder neu und frisch interpretiert, dazu Zitate aus Schriften von Friedrich Engels über Esther Bejerano bis hin zu Beschäftigten von heute – sie zeigen, wie aktuell auch heute das ist, wofür wir als DGB-Gewerkschaften eintreten: Solidarität, Frieden und Demokratie; gerechte Verteilung der Lasten; Chancengleichheit von Männern und Frauen. Junge Künstlerinnen und Künstler hatten dafür ein facettenreiches und spannendes Programm zusammengestellt. Übertroffen wurde dieser Eröffnungsvormittag nur noch von dem Gespräch mit der 96-jährigen Ukrainerin Anastasia Gulei, die Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hat und nun, nach dem russischen Überfall, ihre Heimatstadt Mariupol verlassen musste. „Im KZ haben wir jeden Tag und jede Nacht von Freiheit geträumt. Wir waren uns sicher: Wir haben so viel gelitten und so viel verloren, es kann nicht sein, dass wir noch einmal Krieg erleben müssen.“ Derzeit ist sie bei Freundinnen in Naumburg untergekommen und betrachtet den Krieg von dort aus: „Ich bin stolz auf mein Volk, wir halten Stand seit dem ersten Tag. Putin hatte gehofft, heute, am 9. Mai, eine große Siegesparade feiern zu können, aber das kann er nicht. Wir leisten weiter Widerstand." Gänsehaut pur in einem nüchternen Berliner Kongresshotel! Anastasia Gulei ist sich sicher: „Ich habe Hitler überlebt, ich werde auch Putin überleben.“
„Ich nehme das erste Mal an einem DGB-Bundeskongress teil und dann wählt der DGB eine Frau zur Vorsitzenden, hurra! Bei unserem Antrag zum Entlastungspaket hat sich mal wieder gezeigt, wie gut die Jüngeren und die Älteren zusammenarbeiten. Herausheben möchte ich die Aktionen der Jugend, ob beim Festakt oder den teilnehmenden Politiker:innen, sie waren immer präsent und unterhaltsam. Ein Gänsehautmoment war die Berichterstattung von Anastasia Gulei, die zwei KZ-Lager überlebte und jetzt aus der Ukraine nach Deutschland flüchten musste. Alles in allem eine gut organisierte Veranstaltung mit vielen Beschlüssen, die in den nächsten Jahren bearbeitet werden wollen. Ich habe mich pudelwohl gefühlt unter den Delegierten der EVG."
„Emotionale Höhepunkte waren für mich die Wahl der neuen Vorsitzenden mit ihrem hervorragenden Ergebnis und das Gespräch mit Anastasia Gulei aus der Ukraine. Als diese 96-jährige Frau geschildert hat, wie es ihr erging, als sie aus ihrem Land fliehen musste, da mussten die Tränen einfach laufen, aber ich denke, das ging jedem im Saal so. Der gesamte Kongress hat Spaß gemacht, es war anstrengend, aber es war auch inhaltlich sehr interessant. Gut fand ich für mich die harmonischen, respektvollen Debatten zu vielen Anträgen. Ich fahre nach Hause mit dem guten Gefühl, dass die acht Mitgliedsgewerkschaften des DGB, dass Frauen, Jugend, Senioren gemeinsam in eine Richtung gehen.“
„Fünf Tage mit schönem Wetter, von dem man nichts hatte; fünf Tage mal neun Stunden in einem großen Kongress-Saal, das sind 45 Stunden. Aber auch fünf Tage neue positive Eindrücke, nette Menschen – ich fand es eine wertvolle Erfahrung, auch wenn man kurz vor der Zurruhesetzung steht. Die Highlights für mich waren ganz klar die Eröffnungsveranstaltung und die Wahl von Yasmin Fahimi zur neuen DGB-Vorsitzenden.“