Geflüchtete: „Die Leute müssen bereit sein“
Jeden Tag kommen Geflüchtete in unser Land. Aus der Ukraine, aus Afrika, Nahost oder anderen Krisenregionen dieser Erde. Vertrieben von Krieg und Gewalt sind sie hier willkommen und können ihr Leben wieder ordnen. Praktische Unterstützung erhalten sie dabei auch aus der großen Eisenbahner:innenfamilie.
„Wenn du Bock hast zu arbeiten, stellen wir dich ein!“ So beginnen oft Begegnungen mit Menschen, die sich bei der VIAS Rail GmbH in einem Schienenjob ausbilden lassen wollen, erzählt Thomas Pfeifer, Ausbilder bei der VIAS. Er lebt Eisenbahn, wie er selbst von sich sagt. Aktuell betreut er vorwiegend junge Männer aus Pakistan, Afghanistan, Bulgarien, dem Iran oder auch Äthiopien. Pfeifer erwartet nicht, dass sich die „Jungs mit Eisenbahn auskennen“, aber „sie müssen bereit sein, zu lernen“. Das habe oberste Priorität für ein gutes Miteinander. Für ihn spielt es keine Rolle, ob oder welche Berufe seine Azubis vorher ausgeübt hatten. „Mindestens 21 Jahre alt und Führerschein sollten sie haben“, so Thomas. Der Betriebsrat der EVG hat es sich zu einer Herzensangelegenheit gemacht, neue Mitarbeitende für ein spannendes Berufsleben bei der Bahn zu gewinnen. Allerdings war der Weg bis hierher nicht leicht. Anlass für seine Initiative ist die quälende Seuche, die sich durch die gesamte deutsche Wirtschaft zieht: Personalnot. Und Not macht erfinderisch.
„Sie geben richtig Gas“
Pfeifer nahm Kontakt auf mit dem Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft. Dass ein Betriebsrat sich um die Ausbildung für Geflüchtete kümmert, stieß dort nicht sofort auf hellhörige Ohren. Nur, Thomas‘ Hartnäckigkeit brachte das Projekt ins Rollen und die ersten zehn Kontakte von arbeitswilligen Geflüchteten. Zwei junge Männer sind bereits in der Ausbildung zum Lokführer, die anderen lernen noch intensiv Deutsch. „Sie geben richtig Gas“, sagt Thomas begeistert. Diese kleine Gruppe motiviere ihn, bereits „die nächste Runde für August anzustoßen“. Auch für sie plant er, ihnen durch Ausbildungsverträge berufliche Sicherheit zu ermöglichen. Die VIAS-Verantwortlichen zeigen sich nach anfänglicher Skepsis über den Alleingang des Betriebsrates immer mehr begeistert. Gehen alle zehn in die Lokführerausbildung und bestehen diese, entspannt sich die Personalnot der VIAS etwas.
„Sie müssen bereit sein, zu lernen“.
Für diese Entzerrung ihres Personalmangels kümmert sich auch die DB Bahnbau Gruppe GmbH seit einiger Zeit erfolgreich. Fachkräfte für den Oberleitungsbau werden dringend gesucht. Mit Hilfe der Cross Border-Abteilung der Deutschen Bahn Personalgewinnung konnte dieser Umstand etwas abgefedert werden. „Oberleitungsmonteure suchen wir in Deutschland vergeblich“, sagt Klaus Göldner, Disponent in Halle/Saale. Deswegen habe man damals analysiert, in welchen Ländern elektrifizierte Schienenverkehre fahren, sprich: wo Oberleitungen geplant, gebaut und unterhalten werden. Zweite Anforderung war eine geografisch günstige Anbindung in die jeweiligen Heimatorte. Im Ergebnis kristallisierte sich letztlich die Ukraine als geeignete Option für eine Werbe-Aktion im Ausland heraus.
Die Akquise nach den gesuchten Fachkräften begann Anfang 2021. Aus 400 Rückmeldungen wurden zehn Bewerber:innen ausgewählt. Teilweise kommen die neuen Kolleg:innen aus technischen Berufen, sind Akademiker oder saßen bereits anderweitig beruflich fest im Sattel. Die Aussicht, mit der Familie eine sichere Arbeit in Deutschland zu erhalten, war für sie zusätzlich interessant. Das Programm startet mit einem Deutschkurs im Heimatland. Neben technischem Knowhow ist das Sprach-Zertifikat wichtig, um später in Deutschland arbeiten zu können. Nach der weiteren Einarbeitung in der entsprechenden Schulungsanlage in Halle/Saale sind die zehn „Neuen“ bereits seit Oktober 2021 am Bauprojekt Stuttgart 21 beteiligt gewesen. Heute stehen von den zehn bereits neun in Verantwortung für große Anlagen in verschiedenen Regionen wie: Hanau, Köln/Essen und Hannover. Die gesammelten Erfahrungen möchte die DB Bahnbau Gruppe weiter nutzen, im Ausland motivierte Fachkräfte anzusprechen. Mittlerweile haben sich die Möglichkeiten, in der Ukraine zu werben, zerschlagen. Es ist Krieg.
Mit diesem schrecklichen Umstand war mit Arbeitsbeginn für die neuen Fachkräfte im Jahr 2021 nicht zu rechnen. Mit Abschluss ihrer Einarbeitungsphase sollten die Familien der neuen Oberleitungsmonteure im Zuge eines Nachzugsverfahrens ebenfalls nach Deutschland kommen. Mit dem 24. Februar 2022, dem Überfall Russlands auf die Ukraine, hatten sich diese Pläne zerschlagen. Die Gefühlslagen der neugewonnen Beschäftigten sind kaum zu beschreiben. Wollten sie sich voll und ganz auf die neue Arbeit konzentrieren, pendelten ihre Gedanken dennoch stets in die Heimat. An dieser Stelle setzte die Hilfsbereitschaft der Eisenbahner:innen für Eisenbahner:innen ein. „In einer Nacht- und Nebelaktion sind DB Bahnbau-Beschäftigte zur polnisch- ukrainischen Grenze gefahren, um Frauen und Kinder der neuen Kollegen abzuholen“, erzählt Göldner. Die Angehörigen seien aus allen Teilen des umkämpften Landes gekommen, teils 1000 Kilometer vom vereinbarten Wartepunkt entfernt. Zwei Familien seien immer noch in der Ukraine und können nicht weg. „Aber die holen wir noch raus“, sagt der Disponent engagiert. Ganz anders verläuft es leider gerade mit den nächsten beiden Gruppen.
„Unsere Leute helfen“
Eine Gruppe Bewerber absolvierte bereits neben dem Sprachkurs ein Seminar zur Vorbereitung des Lebens in Deutschland, um sie ab dem 2. Mai 2022 in Deutschland einzusetzen. Ein Teil ihrer Familien kam bereits nach Deutschland, um solche dramatischen Ausreise-Erfahrungen wie in der ersten Gruppe zu vermeiden. Allerdings wurde genau in dieser Zeit die Mobilmachung in der Ukraine durch Präsident Selensky angeordnet. Jetzt sitzen die neuen Oberleitungsmonteure in ihrer kriegsgeschüttelten Heimat fest. Einige ihrer Frauen und Kinder sind hingegen bereits sicher in BSW-Heimen oder privat bei Kolleg:innen der Bahnbau untergebracht. „Wir helfen“, sagt Göldner. Alle würden mit anpacken, wenn Hilfe benötigt wird. “Wir halten stetigen Kontakt.“
„Oberleitungsmonteure suchen wir in Deutschland vergeblich.“
„Job in Germany“
„Auch unsere erste Intention ist, zu helfen“, erzählt Silja Steinert von der DB Personalgewinnung. Sie und ihre Kolleg:innen geben Unterstützung, Orientierung und Berufsberatung für die vielen interessierten Geflüchteten, die sich über das eigens geschaffene Portal „Job in Germany“ melden. „Die Interessenten kommen über die unterschiedlichsten Einzugsschneisen zu uns und haben sehr individuelle Anfragen“, erzählt Steinert. Allerdings gehe es hierbei nicht ausschließlich darum, Geflüchtete schneller in den Arbeitsmarkt zu vermitteln, so die verantwortliche Teamleiterin für das neue Angebot.
„Jede Person, der wir helfen können, sehen wir als Erfolg“
Um den Geflüchteten auch über die Bahn- Welt hinaus Job-Perspektiven aufzuzeigen, kooperiert die DB mit der Bundesagentur für Arbeit. Das Beratungsangebot ist breit aufgestellt – von Fragen zur Registrierung bis hin zu konkreten Jobgesprächen und Einstiegsmöglichkeiten; alles ist online oder an den ausgewählten Standorten in Deutschland auch analog möglich. Eine Hotline bietet zudem persönliche Beratungsgespräche an. Sehr oft zeigten sich Betroffene erleichtert, dass „überhaupt mal jemand ansprechbar ist“ und zudem russisch und/oder ukrainisch spreche. Geflüchtete aus der Ukraine erhalten eher eine Arbeitserlaubnis, als Geflüchtete aus anderen Ländern. Dadurch können die Kolleg:innen der Personalgewinnung besser und konkreter beraten. Die größten Herausforderungen für eine erfolgreiche Job-Vermittlung sind dabei zumeist fehlende Sprachkenntnisse. Deshalb bietet die DB für fachlich geeigneten Kandidat:innen Integrations- und Sprachkurse an. Aktuell werden über 170 freie Jobs für Männer und Frauen aus der Ukraine auf der Seite angeboten. Die Beratungs-Website ist selbstverständlich in Ukrainisch und russisch aufbereitet, um es den Betroffenen leichter zu machen, ihre Chancen zu erkennen. „Den Geflüchteten zu helfen, ist unsere gesellschaftliche Verantwortung. Es geht dabei nicht um konkrete Einstellungszahlen. Jede Person, der wir helfen können, sehen wir als Erfolg“, betont Steinert.
„Den Geflüchteten zu helfen, ist unsere gesellschaftliche Verantwortung."
Die EVG begrüßt und unterstützt die Hilfen der Deutschen Bahn und anderer Eisenbahnverkehrsunternehmen. Jobvermittlung, kostenneutrale Fahrten für Geflüchtete in den Zügen des Personennah- und Fernverkehrs sowie des ÖPNV sind nur Teile der umfangreichen Hilfsmaßnahmen. Weitere wichtige Bausteine im Hilfspaket sind Unterkunftsmöglichkeiten in BSW-Hotels oder Sonderurlaube für Eisenbahner:innen, die ihren betroffenen Familien helfen wollen.
In einer Resolution des Konzernbetriebsrates der Deutschen Bahn heißt es, …“Als multikulturelle Eisenbahnerfamilie setzen wir uns für den Zusammenhalt und die Solidarität aller Kolleginnen und Kollegen ein."… Alle Eisenbahner: innen sind aufgerufen, nach ihren Möglichkeiten zu unterstützen, denn Solidarität und Hilfe sind jetzt besonders gefragt.