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Gesundheitsversorgung: „Der Preiskampf zwischen den Krankenkassen wird eskalieren“

Zum 1. Januar musste auch die BAHN BKK den Zusatzbeitrag für ihre Versicherten er­höhen. Warum dieser Schritt letztendlich erforderlich war, erläutern Cosima Ingenschay und Claudia Huppertz. Die stellvertretende EVG-Vorsitzende und die alternierende Vorsitzende des BAHN-BKK Verwaltungsrates werfen in unserem Interview auch einen Blick auf die Zukunft der solidarischen Krankenversicherung in Deutschland. 

Cosima Ingenschay und Claudia Huppertz

Die BAHN BKK hat zum 1. Januar 2023 den Zusatzbeitrag von 1,2 auf 1,7 Prozent erhöht. Warum? 
Claudia: Für dieses Jahr hat die gesetzliche Krankenversicherung eine finanzielle Lücke von 17 bis 20 Milliarden Euro. 
Gründe dafür liegen unter anderem in den erhöhten Gesundheitsausgaben als Folge der Corona-Pandemie, aber auch in teuren Reformen in den letzten Jahren. Seit 2018 wurden über 100 Gesetze und Verordnungen erlassen, die den Versicherten kaum Verbesserung in der Versorgung gebracht haben.

Um die Lücke in der gesetzlichen Krankenversicherung zu schließen, hat Bundesgesundheitsminister Lauterbach das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz durchgesetzt. In meinen Augen auch als Finanzierungsverschiebungsgesetz zu bezeichnen, da eine langfristige und nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung damit auf die lange Bank geschoben wird. 
Alle gesetzlichen Krankenkassen müssen nun erneut ihre Rücklagen abbauen. Rücklagen, die sie aus den Beiträgen der Versicherten aufgebaut haben.  

Die EVG und die Versichertenseite des Verwaltungsrates der BAHN-BKK haben das von Beginn an scharf kritisiert. 70 Prozent der Finanzlücke in der gesetzlichen Krankenversicherung sind von den Versicherten zu tragen. Das darf nicht sein. Bund, Länder und Gemeinden müssen ihrer finanziellen Verantwortung nachkommen und aufhören, den Staatshaushalt auf Kosten der Krankenkassen zu entlasten.

Welche Folgen seht ihr auf die Krankenkassen und die Versicherten zukommen? 
Cosima: Der Preiskampf zwischen den Krankenkassen wird eskalieren. Und die Versicherten müssen in einer sowieso schon gesellschaftlich und wirtschaftlich angespannten Lage tiefer in die Taschen greifen, um die dann höheren Krankenkassenbeiträge zu bezahlen. Viele Menschen wird das finanziell überfordern.   

Claudia: Die Bundesregierung hat Entlastungspakete von insgesamt 95 Milliarden Euro auf den Weg gebracht, um den gestiegenen Lebenshaltungskosten durch Inflation und Energiepreissteigerung entgegenzuwirken. Die finanzielle Situation der gesetzlichen Krankenversicherung wurde nicht berücksichtigt. Somit ist zu erwarten, dass eine wirksame Entlastung bei den Menschen nicht spürbar ankommt.

Was braucht es aus eurer Sicht für eine verlässliche, gerechte und leistungsfähige Gesundheitsversorgung in den kommenden Jahren? 
Claudia: Die EVG hat, gemeinsam mit dem DGB, deutlich Forderungen kommuniziert, die die gesetzliche Krankenversicherung um bis zu 16 Milliarden Euro entlasten würde. Leider sind diese von Bundesgesundheitsminister Lauterbach negiert worden, er zeigte sich beratungsresistent. 

So forderten und fordern wir zum Beispiel, dass endlich die Aufwendungen der Krankenkassen für die Versorgung der ALG II Bezieher:innen kostendeckend durch den Bund ausgeglichen werden. Das steht im Koalitionsvertrag, wurde bisher jedoch weder diskutiert noch berücksichtigt. Die Krankenkassen erhalten derzeit nur rund 50 Prozent der Ausgaben für den genannten Personenkreis. Dadurch werden die Versicherten gezwungen, diese Beiträge zu finanzieren. Allein diese Maßnahme würde die Krankenkassen um zehn Milliarden Euro entlasten.

Was gäbe es da noch? 
Cosima: Zudem fordern wir auf Arznei-, Heil- und Hilfsmittel den reduzierten Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent. In vielen europäischen Ländern ist das bereits der Fall. In Deutschland hingegen sind Blumen und Hundefutter geringer besteuert als Medikamente. Wir wollen, dass sich das ändert, für uns sind sie Teil des Grundbedarfs. 

Wie reagiert die Politik auf diese gewerkschaftlichen Forderungen?
Cosima: Das Bundesgesundheitsministerium will das nicht. Man hat Sorge vor Mindereinnahmen bei Bund und Ländern. Dafür belastet man lieber die Kassen, denn allein die Differenz zwischen den Mehrwertsteuersätzen bedeutet eine Mehrbelastung und entsprechende Entlastung von sechs Milliarden Euro.

Nun erhöht die BAHN BKK den Zusatzbeitrag um 0,5%. Warum sollten eurer Meinung nach die Versicherten bei der BAHN BKK bleiben? 
Claudia: Die BAHN-BKK ist eine Krankenkasse mit langer Erfahrung. Sie hat ihre Wurzeln im Jahr 1837 und war eine der ersten Hilfskassen zur Unterstützung der bei der Eisenbahn beschäftigten Arbeiter:innen in Krankheitsfällen. Das zeugt von 180 Jahren Kompetenz.

Für mich ist die BAHN-BKK die beste Krankenkasse für Beschäftigte in der Verkehrsbranche und vieler EVG-Mitglieder. Das Leistungsspektrum und die Extras sprechen für sich. Neben allen anderen Leistungen bietet die BAHN-BKK spezielle Programme im Bereich der Vorsorge, Prävention, gesunder Ernährung und beim Thema betriebliches Gesundheitsmanagement an und das rund um die Uhr. Somit ist die BAHN-BKK für alle Versicherten gut erreichbar, egal, ob sie im regelmäßigen, nicht regelmäßigen Schichtdienst oder im Tagesdienst beschäftigt sind. Die BAHN-BKK ist eine verlässliche Krankenkasse – eben „Die Kasse mit Herz“. 
Die Erhöhung des Zusatzbeitrages bei der BAHN-BKK tut uns allen weh, aber leider durch die geschilderten politischen Entscheidungen, die die Krankenkasse nicht zu vertreten hat, unumgänglich.

Die März-Ausgabe der imtakt ist, anlässlich des Internationalen Frauentags am 8. März, eine Frauen-Ausgabe. Wie wichtig ist euch das Thema? 
Claudia: Monika Abel wurde 1991 zur Vorsitzenden der Vertreterversammlung der Reichsbahnkrankenkasse gewählt, als erste Frau. Mit mir als alternierender Vorsitzenden des Verwaltungsrates der BAHN BKK wird die Versichertenseite wieder von einer Frau vertreten. Monika war eine Vorreiterin für Chancengleichheit und Gleichstellung. Offen gesagt, die Arbeit ist damit noch nicht getan. Eine gleichberechtigte Teilhabe von Frauen ist noch immer nicht selbstverständlich. Wir brauchen mehr Frauen-Power in der Selbstverwaltung. 

Cosima: Dieses Jahr stehen die Sozialwahlen an. Leider sind die Gremien der Selbstverwaltung oft immer noch von Männern dominiert, das muss sich ändern.  Dort geht es um die Interessen aller Versicherten, die sich auch in der Vielfalt ihrer Vertreter:innen abbilden sollte. In den Selbstverwaltungsgremien von Rente und Unfall sollen ab 2029 Frauen und Männer möglichst zu mindestens 40 Prozent vertreten sein. Das begrüßen wir. Für die Krankenkassen gilt diese Vorgabe bereits verbindlich für 2023.