LKW-Fahrer-Streik: „Spitze eines Eisberges von Lohnraub und schlechten Arbeitsbedingungen“
In Deutschland, den Niederlanden und Italien spielte sich in den vergangenen Wochen Ungewöhnliches ab. Lkw-Fahrer sind in den Streik getreten. In Deutschland standen rund 60 Fahrer wochenlang an der Autobahnraststätte im hessischen Gräfenhausen. Was steckt dahinter und was kann man tun?
Die Streikenden sind Fahrer der polnischen Spedition Lukasz. Und sie haben nicht etwa für mehr Geld gestreikt – sondern für das Geld, das ihnen zusteht, aber vorenthalten wird. Die Fahrer aus ganz Osteuropa waren ohne Arbeitsvertrag als „Selbständige“ angeworben worden und sind für 80 € am Tag über Monate hin weit weg von Zuhause in ganz Europa unterwegs. Solche windigen Konstruktionen sind leider kein Einzelfall. Die Spediteure umgehen damit die Verpflichtung, gesetzliche Mindestlöhne zu zahlen.
Was in diesem Fall jedoch besonders ist: Selbst die 80 € wurden den Fahrern nicht gezahlt. Die meisten von ihnen erhielten wochenlang keinen Cent.
Vor einigen Wochen gingen die ersten Fahrer in Italien in den Streik. Prompt erschien dort der Chef der polnischen Spedition und drückte jedem 1000 Euro in die Hand. Den Rest, hieß es, bekämen sie, wenn sie wieder in Polen wären. Dort aber gab es nicht nur kein Geld: vielmehr wurden die Fahrer mit Schlägen erwartet und ihre Jobs waren auch weg.
Daher ist es nicht verwunderlich, dass die anderen Fahrer auf diesen Trick nicht mehr hereingefallen sind. Als der Spediteur an der Raststätte Gräfenhausen auftauchte, ließen sie ihn abblitzen. Ausgerechnet am Karfreitag tauchte er dann mit einem Schlägertrupp in Militärfahrzeugen und Kampfuniform wieder auf. Zum Glück war die Polizei schnell mit einem Großaufgebot von Einsatzkräften vor Ort und hat die Milizionäre samt Chef erst einmal verhaftet. Sie erwarten nun Anzeigen wegen Landfriedensbruch und versuchter schwerer Körperverletzung.
Ganz anders der Besuch, den die Lkw-Fahrer am Karsamstag bekamen: Kolleg:innen des Vereins Sozialmaut e.V., der sich dafür einsetzt, die die sozialen Bedingungen der Lastwagenfahrer:innen zu verbessern. Allen voran der Gründer des Vereins, der frühere EVG-Vorsitzende Alexander Kirchner. „Was hier passiert“, sagt er, „ist nur die Spitze des Eisberges von Lohndumping und unmenschlichen Arbeitsbedingungen auf Europas Straßen.“ Insbesondere Speditionen aus Osteuropa suchen ständig nach Möglichkeiten, gesetzliche Normen zu umgehen. „Wir wollen die bundesdeutsche Politik dazu bewegen, für mehr soziale Rahmenbedingungen für Fahrer:innen, zumindest auf deutschen Straßen, zu sorgen“, sagt Alexander Kirchner. „Wir begrüßen die beschlossene Anpassung der LKW-Maut. Ein Teil der Einnahmen sollte auch in eine Stiftung fließen: 1 Cent je gefahrenen Kilometer muss zur Finanzierung von minimalen sozialen Rahmenbedingungen für Fahrer:innen aufgewendet werden.“ Als vorrangige Maßnahmen nennt er den kostenlosen Zugang zu Toiletten und Duschen und medizinische Betreuung in Notlagen. „Das ist das Minimum, das wir den Menschen, die Tag für Tag auch für uns auf den Straßen arbeiten, garantieren müssen.“
Übrigens: Die Kolleg:innen von Sozialmaut e.V., darunter auch der frühere Geschäftsführer der GUV Fakulta, Olaf Hofmann, verteilten nicht nur Taschen mit kleinen Präsenten. Sie heizten auch die Gulaschkanone an und kochten Suppe und Würstchen für die Anwesenden und setzten so ein Zeichen tätiger Solidarität. Am Ende war der Streik erfolgreich. Ende April bekamen die Fahrer ihr Geld und konnten nach Polen zurückkehren.