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Interview Politik Tarif Soziales

Mindestlohn: „Wir brauchen wieder mehr Wertschätzung für die Arbeit“

Sein Vortrag bei der Konferenz der Tarifkommissionen Anfang Februar hat die Kolleg:innen begeistert. Ver.di-Kollege Olaf Könemann kämpft seit langem für den Mindestlohn. Und er hat noch mehr Pläne. 

Olaf Könemann

Olaf, du befasst dich schon sehr lange mit dem Thema Mindestlohn…
2000 habe ich bei der Post angefangen und bin relativ schnell in die Gewerkschaft eingetreten. Viele Paketfahrer:innen in der Branche haben ganz wenig Geld verdient. 2002 unter Schröder haben wir dann die völlige Umkrempelung des Arbeitsmarktes erlebt, mit Hartz IV und der Herausbildung des Niedriglohnsektors und in der Folge eine wahnsinnige Tarifflucht. Die Gewerkschaften haben sich dann nach einigem Hin und Her dazu durchgerungen, zu sagen, wir können das tariflich nicht mehr auffangen, wir brauchen einen gesetzlichen Mindestlohn.

Bis es soweit war, hat es dann aber über ein Jahrzehnt gedauert…
Nach Schröder kam Schwarz-Gelb, da war das schlichtweg kein Thema. Aber als sich die erste Große Koalition anbahnte, haben wir als kleine Gruppe in Hamburg gesagt, wir probieren es noch mal. Ich habe dann einen Kampagnenplan entwickelt, damals gab es im Internet noch nicht die Möglichkeiten wie heute, man musste noch richtig an den Bundestag eine Petition richten. Und dann haben wir den Marsch durch die Institutionen begonnen, bis hin zum ver.di-Bundesvorstand, und wir haben auf der Straße Unterschriften gesammelt, so richtig mit Papier und Kugelschreiber. Zur Bundestagswahl 2013 haben wir 75.000 Unterschriften gesammelt und unser damaliger Bundesvorsitzender Frank Bsirske hat sich das nicht nehmen lassen, die Unterschriften zu übergeben. So kam der Mindestlohn in die Koalitionsverhandlungen.

Mit welchen Argumenten habt ihr euch durchgesetzt? 
Die Wirklichkeit hat die Argumente geliefert. Man hat gemerkt, dass es gerade im Dienstleistungsbereich ganze Bereiche gab, in denen unterirdisch bezahlt wird. Und wir haben dann die große Tarifflucht erlebt, gerade im Westen. Im Osten war und ist die Tarifbindung niedrig, da haben sich die Arbeitgeber auch nicht die Müge gemacht, Sozialpartnerschaft aufzubauen. Die Gewerkschaften waren ja immer eine hohe Tarifbindung gewohnt, Ende der 90er Jahre lag die noch bei 78%, heute dümpeln wir bei 48-49 %. 

2014 wurde das Mindestlohngesetz veröffentlicht…
Und wir waren völlig baff, weil der Gesetzgeber reingeschrieben hatte: Ab 2015 gilt ein gesetzlicher Mindestlohn von € 8,50. Da haben wir gesagt, wie kann man denn in ein Gesetz eine Summe reinschreiben? Das schadet uns leider bis heute, weil es seitdem nur in Trippelschritten vorangeht. Die Wissenschaft sagt ja, der Mindestlohn sollte sich an 60 % des Medianlohns orientieren, da waren wir ja weit entfernt, das hätten damals schon 10 Euro sein müssen. Bewegung kam dann rein durch den damaligen Bürgermeister von Hamburg, Olaf Scholz, der einen städtischen Mindestlohn von 12 Euro geplant hat, was dann durch seinen Nachfolger Peter Tschentscher umgesetzt wurde. Scholz wurde dann Finanzminister und im November 2018 wurde er in einem Interview gefragt, ob er sich auch 12 Euro Mindestlohn vorstellen könne. Das hat er bejaht und wir haben dann gesagt: Ok, dem Mann kann geholfen werden. Dann haben wir in einer Nacht- und Nebel-Aktion eine neue Petition zusammengezimmert und sind noch einmal durchgestartet. Trotz der Corona-Zeit haben wir 180.000 Unterschriften gesammelt. Wir haben die Politiker aufgesucht, keine Veranstaltung ausgelassen. Hubertus Heil konnte immer sagen: Da draußen sind Gewerkschafter:innen, die machen sich für einen Mindestlohn von 12 Euro stark. Bei den Koalitionsverhandlungen 2021 war klar, dass die 12 Euro kommen würden. Als wir den Gesetzentwurf gelesen habe, stellten wir fest, dass da verdammt viele Passagen aus unserer Petition drin waren. Das freut einen natürlich auch. Am 3. Juni vorigen Jahres war es dann soweit, wir wurden in den Bundestag eingeladen, das war auch mein Wunsch gewesen. Dabei zu sein, als der Bundestag die 12 Euro verabschiedet hat, das war eine große Freude.

Du sprichst in der Wir-Form – wer waren denn eigentlich deine Mitstreiter:innen?
Wir haben uns hier im Arbeiter:innen-Ausschuss von ver.di in Hamburg zusammengefunden, dessen Vorsitzender ich inzwischen auch bin. Ich trete öffentlich auf, aber die Gruppe ist das eigentliche Movement. Wir sind eine kleine, agile und engagierte Gruppe. Und wir haben noch Pläne.

Und welche?
Was wir jetzt brauchen, ist eine höhere Tarifbindung. Wir hatten voriges Jahr eine Klausur, in der wir schon mal einen Aktionsplan aus neun Punkten aufgeschrieben haben. Z.B. brauchen wir mehr allgemeinverbindliche Tarifverträge und Kommunen dürfen Aufträge nur an Unternehmen vergeben, die tarifgebunden sind. Wir haben dazu auch bereits wieder eine Petition eingestellt: #TarifeFuerAlle.


„Wenn die Putzkraft den OP nicht ordentlich reinigt, dann kann der Chirurg nicht operieren.“

Olaf Könemann, ver.di

Da sind wir völlig auf einer Linie. Olaf, du warst und bist Postler. Wie wird deine Arbeit wahrgenommen?
Durch die Corona Zeit hat der Internet-Handel geboomt, wir haben noch nie so viele Pakete durch die Gegend getragen wie in den letzten drei Jahren. Mein Unternehmen hat sich eine goldene Nase verdient durch unsere Arbeit. Wir waren draußen und natürlich müssen wir unseren gerechten Anteil haben. Das ist völlig unabhängig von der Inflation: Die Beschäftigten müssen an dem, was sie erwirtschaften, ihren Anteil haben - damit sie ihren Lebensstandard halten und am öffentlichen Leben teilnehmen können. Die Signale der Arbeitgeber derzeit finde ich da sehr schädlich. Das ist eigentlich unverschämt. Der Staat wirft derzeit mit Geld um sich und da können die Arbeitgeber, gerade im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht sagen, dass für die Beschäftigten noch 2 oder 3 Prozent übrig sind. Auch was euer Arbeitgeber angeboten hat, ist eine Diskreditierung der Beschäftigten. Da fasst man sich an den Kopf und fragt sich, merken die die Einschläge noch?

Was sagt das über den Wert der Arbeit aus?
Wir brauchen wieder mehr Wertschätzung für die Arbeit. Wenn die Putzkraft den OP-Saal nicht ordentlich reinigt, kann der Chirurg nicht operieren. Dann muss die Frau oder der Mann auch ordentlich bezahlt werden.

Hast du noch eine spezielle Botschaft an die Eisenbahner:innen?
Richte ihnen aus: Kämpfen, kämpfen, kämpfen - bis die Arbeitgeber ein Angebot auf den Tisch legen, über das sich zu verhandeln lohnt. Wir sind an eurer Seite!