Fazit: Großer Sport, bröckelnde Brücken
Vier Wochen lang haben viele Menschen aus Europa Deutschland live kennengelernt oder auch sehr genau über die Medien betrachtet. Dabei vieles Positive gesehen und manches weniger Positive. Und wie hat sich die Bahn geschlagen?
Zunächst: Die Warnungen der EVG vor Übergriffen und den Belastungen der Beschäftigten waren richtig und kamen zum genau richtigen Zeitpunkt. „An den Standorten der EM-Spiele haben wir bisher keine Zunahme von Übergriffen erkennen können. Da zeigt die massive Polizeipräsenz offenbar Wirkung“, bilanziert Heike Moll vom Gesamtbetriebsrat DB INfraGO. „In den umliegenden Zubringerstationen sehen wir leider schon eine Zunahme von verbalen Übergriffen. Das hat sicherlich mit der aufgeladenen Stimmung der anreisenden Fans zu tun. Alles in allem können wir aber sehen, dass sich zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen auszahlen. Daher sollten wir auch nach der EM die Sicherheitsmaßnahmen an Bahnhöfen verbessern.“
„Das Wichtigste für uns sind zunächst einmal die Beschäftigten – und die werden gelobt“, sagt auch der EVG-Vorsitzende Martin Burkert. „Sie sind freundlich, die tun in den Zügen alles, damit sich die Gäste wohlfühlen. Es ist überwiegend eine richtig gute Stimmung.“
Das bestätigt ein Blick ins Lagezentrum der DB AG. Hier habe es tägliche mehrere Abspracherunden zwischen DB Regio, DB Fernverkehr und der DB InfraGO gegeben sowie täglich einen Jour Fixe mit der UEFA, berichten uns Insider. Dabei seien keine besonderen Gefahrensituationen und keine Übergriffe auf Beschäftigte bekannt geworden, heißt es. Fazit: Stimmung gut, EM-Verlauf friedlich.
Singende Schotten, hüpfende Holländer, das wird in Erinnerung bleiben. Aber natürlich gibt es auch die anderen Geschichten. Z.B. dass ein österreichischer Journalist mit der Bahn 14 Stunden von Wien nach Düsseldorf unterwegs ist, eine Strecke, die normalerweise 8 Stunden in Anspruch nimmt. „Zwischen Passau und Regensburg hat die Deutsche Bahn ausgerechnet unter der Europameisterschaft eine Groß-Baustelle“, schrieb ein enttäuschter Fan auf facebook. „Nichts geht mehr, keine Busse oder Taxis stehen zur Verfügung. Ob das Stadion heute Abend gegen Frankreich voll ist, bezweifle ich – zumindest nicht der österreichische Sektor.“ Genauso war es leider: Zahlreiche österreichische Fans erreichten erst zur 70. Minute das Vorrundenspiel ihrer Mannschaft in Düsseldorf. Das Video, in dem die Fans lauthals „Die Bahn ist im Oarsch“ sangen, ging viral.
Auch die Sache mit der New York Times machte die Runde. Man möge alles vergessen, was man über den früheren „Organisationsweltmeister Deutschland“ gehört und gelesen habe, schrieb Reporter Stafford-Bloor – und fand hierbei schnell den Schlenker zur Deutschen Bahn. „Einst der Goldstandard des Bahnverkehrs in Europa, ist sie heute weit von diesem Höhepunkt entfernt, und das schon seit geraumer Zeit.“ Der Times-Korrespondent tauchte ein in die Realität deutscher Bahnkunden – und der Bahn-Beschäftigten. „Züge sind verspätet. Züge kommen nicht an. Anschlüsse werden verpasst und die Menschen sitzen fest. Setzen Sie sich in einen DB-Wagen, wenn eine Verspätung angekündigt wird, und achten Sie auf die Blicke, die die Deutschen austauschen, und darauf, wie sie mit den Augen rollen; es ist zu einer Pointe geworden.“
Für seine Recherchen sprach Stafford-Bloor auch mit der Allianz pro Schiene (ApS). „Die EM hat der Welt den Zustand unserer Schieneninfrastruktur gezeigt und zu vielen Berichten in der internationalen Presse geführt“, sagt ApS-Geschäftsführer Dirk Flege. „Bei der Allianz pro Schiene haben wir uns zwar über das Medieninteresse, z.B. der New York Times gefreut. Schöner wäre es aber gewesen, die Regierungen der vergangenen Jahrzehnte hätten rechtzeitig investiert und die Schiene gar nicht in so einen traurigen Zustand kommen lassen.“
Und so kommt der US-Journalist leider auch zu einer zutreffenden Feststellung: „Es handelt es sich um ein Problem, das der Euro 2024 um Jahrzehnte vorausgeht und noch viele Jahre andauern wird.“
„Den Vollbluteisenbahner:innen tut es in der Seele weh, wenn Qualität und Pünktlichkeit so im Keller sind wie momentan“, bilanziert denn auch der EVG-Vorsitzende Martin Burkert. „Die Folgen der jahrzehntelangen Unterfinanzierung der Schiene sind einfach nicht mehr zu kaschieren. Daraus müssen jetzt die Konsequenzen gezogen werden.“