Mitbestimmung: „Auch für Personalengpässe sollte es Regularien geben“
Der Personalmangel ist aktuell wohl die größte Herausforderung – und dies nicht nur für die Arbeitgeber. Auch die Betriebsräte sind gefragt. Bei der Netz AG in Berlin hat der Betriebsrat eine Initiative gestartet, um der resultierenden Arbeitsüberlastung der vorhandenen Personale Herr zu werden. Welches, sagt uns Betriebsrat Andreas Ballentin.
Andreas, was war die Ausgangslage?
Die Beschäftigten bei uns, in der Betriebszentrale Fernbahn, in der Betriebszentrale S-Bahn und im Fahrplan, haben reichlich Überlastungsanzeigen geschrieben. Es gibt dafür jedoch keine verbindliche rechtliche Grundlage und keine vorgeschriebene Form. Das wollten wir ändern. Für alles Mögliche gibt es Regularien. Bei einer Störung z. B. ist genau geregelt, was getan werden muss. Für Personalausfälle gibt es nichts. Und daraufhin haben wir uns diesen Leitfaden ausgedacht.
Von welcher Art Überlastung sprechen wir konkret?
Es ist wie überall, wir haben zu wenig Leute. Das führt in den Betriebszentralen dazu, dass die Kolleg:innen bei kurzfristigen Personalausfällen weitere Arbeiten zusätzlich übernehmen müssen. Das bedeutet viele Überstunden und führt zu Frust und Überforderung.
Siehst du Perspektiven, dass sich die Lage bessert?
Leider ist er Fahrdienstleiterberuf nicht sehr attraktiv. Das muss sich ändern. Es muss mehr auf diesen Beruf aufmerksam gemacht und mehr dafür geworben werden. Der Arbeitgeber bemüht sich, er macht unter anderem Event-Tage. Einmal sind 83 Leute gekommen, 30 haben sich letztendlich für den Beruf Fahrdienstleiter:in interessiert. Am Ende sind nur zehn durch die bahnärztliche Untersuchung gekommen. Denn das gehört ja auch dazu, dass du topfit sein musst für diesen Beruf.
Aber zurück zu eurem Leitfaden: wie funktioniert der konkret?
Die Beschäftigten zeigen an, dass sie überlastet sind. Oder der Arbeitgeber erkennt das von sich aus schon weil Personal ausgefallen ist. Wenn klar wird, dass ein:e Kolleg:in, die eventuelle zusätzliche Arbeit nicht leisten kann, wird gemeinsam mit dem Arbeitgeber anhand des Leitfadens überprüft, ob möglicherweise von irgendwoher Personal nachzusteuern ist. Ist das nicht möglich, wird überlegt, welche Arbeiten wegfallen oder verschoben werden können. Im schlimmsten Fall müssen Maßnahmen abgesagt werden. Bei den Fahrdienstleiter:innen müssen im Extremfall zum Beispiel Zugfahrten ausfallen oder umgeleitet werden. Wenn Maßnahmen erfolgt sind, werden diese in einen Fragebogen eingetragen und an den Betriebsrat geschickt.
Wie stand bzw. steht der Arbeitgeber zu eurer Initiative?
Die waren sehr angetan und haben von Anfang an mitgewirkt. Das war recht aufwändig, weil es ja kein Vorbild gab und es im Detail auch immer um genaue Formulierungen ging. Der Arbeitgeber hat grundsätzlich ein Interesse daran, dass beim Arbeits- und Gesundheitsschutz alles ordentlich läuft. Schon allein, um einen hohen Krankenstand zu vermeiden.
Wie habt ihr den Leitfaden denn unter den Beschäftigten bekanntgemacht?
Wir haben das über unsere monatliche Information „Netzblatt“ kommuniziert. Und natürlich haben wir auch den Arbeitgeber aufgefordert, das über seine Kanäle zu verbreiten.
Und wie waren die Reaktionen?
Große Lobeshymnen auf den Betriebsrat sind nicht gesungen worden. Aber es wird offenbar genutzt, denn wir bekommen vom Arbeitgeber massenhaft die ausgefüllten Fragebögen.
Hat sich denn aber auch was verbessert?
Ein positiver Effekt ist, dass wir jetzt genau wissen, wie die Lage in den verschiedenen Bereichen ist. Zudem versucht der Arbeitgeber, Personal nachzusteuern, da kann man ihm keinen Vorwurf machen.