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Interview Mitbestimmung

Sicher unterwegs: „Muss ich erst blutend am Boden liegen?“

Sandra Klingbeil betreut als Zugbegleiterin Fahrgäste der DB Regio auf Fahrten durchs idyllische Allgäu. Doch die Beschaulichkeit hat nicht selten ihre Grenzen.

„Hier ist leider nicht alles eitel Sonnenschein“, so Sandra. So manchem Fahrgast kämen „nervige“ Zugbegleiter gerade recht, um an ihnen „ihren Dampf abzulassen“, sagt die zweifache Mutter. „Ich musste mir vieles anhören: Ich solle vergast werden, man will mir den Kopf abschlagen, ich solle doch verrecken.“ Manchmal hilft nur noch die Eigensicherung im Führerstand. Strafanzeigen gegen Angreifer und Pöbler bleiben ohne Konsequenzen. Begründung: Es sei kein offensichtlicher körperlicher Schaden entstanden. „Aber wo ist die Grenze?“, fragt Klingbeil. „Muss immer erst jemand blutend am Boden liegen?“
„Die Sicherheit des Fahrpersonals darf keine Geldfrage sein.“ Klingbeil und ihre Mitstreiter*innen im Betriebsrat untersuchen systematisch Übergriffe auf den Zügen. Schon mehrfach haben sie Begleitfahrten unternommen, um ihren Kolleg*innen den Rücken zu stärken und die Fahrgäste zu sensibilisieren.

„Es ist doch „krank“, dass dich jemand beschimpft, dir Morddrohungen ausspricht oder seine Fahrkarte verweigert“. Dagegen müsse man ankämpfen. Ihre Aktivitäten tragen nach und nach Früchte: Immer öfter melden Kolleg*innen in Bayern Übergriffe. Ergebnis: Der Arbeitgeber reagiert. Leider waren erst verschiedene Vorfälle „nötig“, um zeitweise Doppelstreifen in Zügen durchzusetzen. Ergebnis: Rückgang von Aggressionen und Übergriffen. Dennoch wurde der Testlauf gestoppt. Begründung: Zu teuer! 

Sandra und ihre Kolleg*innen im Betriebsrat kämpfen dagegen an. Sie fordern zudem mehr Sicherheitstrainings für alle Zugpersonale, Selbstverteidigungskurse oder Schulungen für den Einsatz von Pfefferspray. „Die Sicherheit des Fahrpersonals darf keine Geldfrage sein.“ Sandras Hartnäckigkeit zeigt weitere Erfolge: Für die Haupt-Problemstrecke Memmingen – Ulm verhandelt der AG mit der BEG darüber, Doppelbesetzungen in den Verkehrsvertrag aufzunehmen. Eine erneute Begleitfahrt im Juni hatte ergeben, dass das weiterhin dringend notwendig bleibt. Unterstützung finden Klingbeil und ihre Mitstreiter*innen aktuell auch in der jüngst gestarteten DGB-Kampagne „Vergiss nie, hier arbeitet ein Mensch“, die auch von der EVG mitgetragen wird. „Die enorme Reichweite der Aktion nützt uns, noch mehr Gehör zu bekommen“.

Bereits seit Jahren macht die EVG konsequent auf die steigende Gewalt gegen Beschäftigte im Dienst aufmerksam. Die jährlich steigenden Zahlen sind erschreckend. Daher fordern wir von Politik und AG u.a.: 

  • eine stärkere Präsenz der Bundespolizei in Bahnhöfen und Zügen,
  • Sicherheit als Bestandteil von Vergabeverfahren, >>Mindeststandards beim Einsatz von technischer Ausstattung,
  • eine zentrale Datenbank zur Erfassung aller bundesweiten Vorfälle UND
  • Sonderdezernate bei den Staatsanwaltschaften für schnelle Reaktionen auf Übergriffe.

Jeder verbale oder körperliche Übergriff ist eine Straftat und muss als solche verurteilt werden. Aber das kann dauern…. Damit aber Betroffene schnell „erste Hilfe“ erhalten, gibt es das Helfer*innentelefon „Ruf Robin“. Es ist 24/7 besetzt und kostenfrei unter 0800-264 44 44 erreichbar. Jeder gemeldete Vorfall wird an erfahrene Helfer weitergegeben, die dann weiterhelfen. Parallel hat unsere Gewerkschaft erheblichen Anteil daran, dass die Einführung von Bodycams auf Bahnhöfen und Nahverkehr, stichsichere Westen oder andere Maßnahmen vereinbart wurden. Leider hakt es zuweilen an der Umsetzung. Darüber hinaus fordert die EVG auch die Doppelbesetzung im Nahverkehr und ein besonderes Augenmerk auf die Sicherheit unserer Kolleginnen und Kollegen im Busbereich zu legen. „Wir alle mögen unseren Job, sind aber dabei täglich Gefahren ausgesetzt“, sagt Sandra. Wenn wir uns besser vor Aggression und Gewalt schützen wollen, müssen wir gut vorbereitet sein. Meldet JEDEN Übergriff, damit die Brisanz unserer Situation deutlich wird. „Wir wollen weiterhin mit Freude an der Arbeit durch den Zug gehen und zeigen: Mit uns nicht!“