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Bildung Jugend Unterwegs

Gedenkstättenfahrt 2.0: „Unvorstellbar, wie Menschen so miteinander umgehen können.“ 

Nach dem Besuch in Berlin stand nun im Februar der zweite Teil der gemeinsamen Gedenkstättenfahrt von EVG und vida an. Erneut von der EVA organisiert, ging es diesmal nach Österreich. Wie schon beim ersten Teil der Gedenkstättenfahrt hat ein junger Kollege für die imtakt seine Eindrücke dieser Tage aufgeschrieben. 

Wien war der erste Stopp auf unserer Reise. Kaum aus dem Zug gestiegen, wurden wir schon von den Kolleg:innen der Vida-Jugend mehr als herzlich empfangen; nach langer Zeit waren alle glücklich, sich wieder zu sehen. 

Am Montagmorgen fuhren wir zur Zentrale des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, wo Trainer:innen des Mauthausen-Komitees mit uns ein Zivilcourage-Training durchführten. Dabei haben wir erstmal definiert, was Zivilcourage überhaupt ist und uns wurde aufgezeigt, wo sie auch ihre Grenzen hat. Das war sehr interessant! Besonders zu sehen, wie unterschiedlich die Schwellpunkte zum Einschreiten in verschiedenen Beispiel-Situationen in unserer Gruppe waren. Am Ende des Workshops wurden uns die „goldenen Möglichkeiten“ zur Zivilcourage nähergebracht. Uns wurde gezeigt, wie jede:r von uns in kritischen Situationen anderen Menschen helfen kann, ohne sich selber in Gefahr zu bringen – so die Theorie.

Nach einer Mittagspause inklusive Verköstigung brachen wir auf, um die Stadt zu erkunden. Dabei begleitete uns ein Stadtführer, der uns die verschiedenen „Stationen“ des Austrofaschismus und des darauffolgenden Nationalsozialismus zeigte und historische Hintergrundinformationen dazu näherbrachte. Wir besuchten Orte wie das Gefangenenhaus Liesl, das Gestapo-Hauptquartier, den (jüdischen) Stadttempel und natürlich auch die eine oder andere Gedenkstätte und Stolpersteine.

„So sah ich meine ersten Toten“
Am nächsten Tag brachen wir früh mit dem Bus in Richtung Steiermark auf. Unser Ziel war das Dorf Aflenz, wo sich ein ehemaliges Außenlager des KZ Mauthausen und ein Steinbruch befinden. Nach dreistündiger Fahrt kamen wir an. Josef „Sepp“ Mollich führte uns durch die unterirdischen Kammern des Steinbruches. An den Wänden hingen Infotafeln, auf denen teilweise veranschaulicht wurde, wie die damaligen „Arbeiter“ in der vor Luftangriffen sicheren Fabrik schuften mussten. Auf anderen Tafeln befanden sich Zitate von Zeitzeug:innen. Dabei ist mir das Zitat „So sah ich an diesem Wintertag meine ersten Toten“ besonders in Erinnerung geblieben. Es stammt vom zehnjährigen Franz Trampusch, der mit seiner Mutter in der Nähe des Steinbruches wohnte. Trotz der Versuche, die Bevölkerung über das Geschehen im Außenlager zu desinformieren, konnten die Grausamkeiten der Täter:innen nicht verheimlicht werden. Bei der Führung durch den Ort wurde auch schnell klar warum; alles war in unmittelbarer Nähe zueinander: Wohnhäuser, Wachposten, Baracken der Häftlinge und der Steinbruch. Alle, die meinten, es nicht gesehen zu haben, wollten es nicht sehen – so mein Eindruck. 

Mittwoch verließen wir Wien und fuhren mit dem Zug nach St. Pölten. Dort haben wir an der Gedenktafel, die an die Kollegen vom Bahnhof St. Pölten erinnert, die in den Jahren 1938–1945 für ein freies demokratisches Österreich starben, eine Gedenkminute abgehalten. Im Anschluss ging es zu den örtlich ansässigen ÖBB-Lehrwerkstätten, in deren Gängen und Fluren die Dauerausstellung „Verdrängte Jahre“ der ÖBB gezeigt wird. Diese beschäftigt sich thematisch mit der Rolle der Bundesbahn Österreich bzw. nach dem Anschluss ebenfalls der Deutschen Reichsbahn in der Zeit des Nationalsozialismus. In sehr vielen Details werden Themen wie: Die Österreichischen Bundesbahnen bis 1938 und ihre Eingliederung in die Deutsche Reichsbahn, die Bahnbediensteten, das Beamtenrecht und der Berufsalltag im Nationalsozialismus, die Transporte im Auftrag des NS-Regimes, die Sonderzüge in die Vernichtungslager, Österreichs Eisenbahner:innen im Widerstand, die Zwangsarbeiter:innen bei der Deutschen Reichsbahn, die Beteiligung der Deutschen Reichsbahn an der „Arisierung jüdischen Vermögens“, die Lage nach dem Krieg und der Umgang mit der Vergangenheit aufgearbeitet. Dabei wurde uns allen klar: Ohne Bahn als Transportmittel wären weder die Kriegslogistik der deutschen Wehrmacht noch die Massentransporte in die Vernichtungslager machbar gewesen. 
Nachdem wir das Ausbildungszentrum verlassen hatten, sind wir mit dem Zug weiter nach Linz gefahren – die letzte „Station“ auf unserer Reise. Am späten Nachmittag starteten wir zu einem Rundgang, bei dem wir uns mit der NS-Zeit in der Stadt auseinandersetzten. Dabei sind wir auch über das Gelände der ÖBB-Produktion gegangen. Hier befinden sich auch zwei Gedenksteine, um zum einen die Feuerwehrkameraden, die am 25. April 1945 dem Luftangriff zum Opfer fielen und zum anderen die Eisenbahn-Kollegen, die bis 1945 für Österreichs Freiheit im KZ Mauthausen ihr Leben lassen mussten, zu würdigen. Zum Schluss kehrten wir in ein Gasthaus ein, um den Tag mit einem gemeinsamen Essen und guten Gesprächen abzuschließen. 
Am 26. Februar 2022 stand der Besuch der Gedenkstätte des KZ Mauthausen auf dem Plan. Doch bevor es richtig los ging, setzten wir uns in einem Workshop mit den Begriffen „Täter:innen“, „Opfer“ und „Mitläufer:innen/Zuschauer:innen“ auseinander. Dabei haben wir versucht, die Motive und Zwänge, welche die Menschen damals bewegten, zu ergründen. In der Erinnerungsstätte angekommen, beschäftigten wir uns zuerst mit etwas Eisenbahn-Technik aus dem letzten Jahrhundert. Anhand eines dort vorhandenen Bahnhofsblockwerks haben die (angehenden) Fahrdienstleiter unserer Gruppe versucht, die Wirkungs- und Funktionsweise eines mechanischen Stellwerkes österreichischer Bauart zu erklären.

Nach der kleinen Eisenbahn-Exkursion begannen wir das Außengelände zu erkunden. Dabei wurde uns von unserem Guide des Mauthausen-Komitees deutlich gemacht, was im damaligen KZ passierte und quasi von den Anwohner:innen in der Umgebung wahrgenommen werden musste: Sei es zum Beispiel die Ankunft der Häftlinge im örtlichen Bahnhof, ihre harte Arbeit im Steinbruch ohne nennenswerte Ausrüstung oder der Rauch der Krematorien. Höhepunkte der Grausamkeit in diesem Lager, welche sogar international bekannt sind, waren die sogenannte „Todesstiege“ und die sogenannte „Fallschirmspringerwand“, wo Häftlinge regelmäßig selbst in den Tod gestürzt sind oder gestoßen wurden.

Im Lager selbst ist im Vergleich zur Gedenkstätte KZ Sachsenhausen (wo im Oktober unser erster Besuch stattfand) viel erhalten geblieben. Die Baracken zeigen eindrücklich, unter welchen menschenverachtenden Umständen die Insass:innen leben mussten. Mauthausen hatte auch als eines der ersten Lager ein sogenanntes „Lagerbordell“, wo weibliche Häftlinge, überwiegend aus dem KZ Ravensbrück, die von den Nazis mit dem Status „Asozial“ versehen waren, von diesen gezwungen wurden, sich männlichen Häftlingen zur „Verfügung“ zu stellen. Dabei ist es besonders perfide, dass die betroffenen Frauen bis in die 1990er Jahre nicht als Opfer galten und somit bis dahin auch nicht entschädigt wurden. Heute ist das zum Glück anders.

Trauer, Wut, Fassungslosigkeit
Auch wenn Mauthausen kein Vernichtungslager im eigentlichen Sinne war, sind auch hier genug Menschen infolge der Zwangsarbeit und durch die Schikanen der NS-Täter:innen gestorben. Zur Ermordung von Kranken und Arbeitsunfähigen wurde auch in diesem KZ eine Gaskammer errichtet, die bis heute erhalten geblieben ist. Die drei Krematorien-Öfen, in denen die unzähligen Toten verbrannt worden sind, können ebenfalls noch heute betrachtet werden. Beim Anblick dieses Tatortes der Nazis wird einem ganz mulmig. Verschiedene Gefühle überkommen einen, wie: Trauer, Wut (auf die Täter:innen), Fassungslosigkeit und Mitleid. Unvorstellbar, wie Menschen so miteinander umgehen können, welche Grausamkeit sie sich anrichten/anfügen können.
Am Ende des Besuches haben wir, die Vida- & EVG-Jugend, gemeinsam am „Denkmal der europäischen Jugend für Kinder und Jugendliche, die hier oder an anderen Orten des Grauens ihre Kindheit, ihre Jugend, ihr Leben lassen mussten“ unter dem Motto: „Nie wieder, gemeinsam gegen das Vergessen!“ einen Kranz zum Gedenken niedergelegt und der Opfer, insbesondere der Jugend, in einer Schweigeminute gedacht. 

Der ganze Tag wurde überschattet von der Invasion der russischen Truppen in die Ukraine. Diese zeigte uns mehr als deutlich, dass der Frieden in Europa auch heute noch sehr zerbrechlich ist. Wie schnell sich das Leben ändern kann. Heute noch Freiheit und Leben, morgen schon Krieg und Tod. Dabei sind damals wie heute Desinformation, Provokationen und Verleugnungen an der Tagesordnung und Inbegriff der Feindseligkeit der Kontrahent:innen. Am Abend teilte einer der Teilnehmer seine Gedanken zum Geschehen in der Ukraine in der Gruppe. Unsere Gedanken sind bei den Opfern dieses Angriffes und wir würdigten sie mit einer Schweigeminute. 

Am Freitagvormittag fassten wir gemeinsam die Woche zusammen und arbeiteten sie auf. Nach einer Feedbackrunde, in der sich viele der Teilnehmer:innen, ich ebenfalls, für einen dritten Teil der internationalen Gedenkstättenfahrt in Auschwitz ausgesprochen haben, ging es für mich am Nachmittag wieder gen Nordwesten in die Heimat.

Nach zwei Wochen neuer Erfahrungen und voller Erkenntnisse bin ich froh, dass ich diese von der EVA organisierten Fahrten miterleben durfte. Ich persönlich bin der Meinung, jede:r sollte eine Gedenkstättenfahrt (außerhalb der schulischen Bildung) mitgemacht haben. Die Hintergründe werden im (jungen) Erwachsenenalter doch ganz anders wahrgenommen und bewusst gemacht. Zumindest ging es mir so.